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ELEKTRONISCHE FUSSFESSELN

[  Die 1000 Augen des Doktor Schwitzgebel /7.2.2006

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Die 1000 Augen des Doktor Schwitzgebel

07.02.2006

Allein in den USA leben 100.000 Vorbestrafte und Asylbewerber mit elektronischen Fußfesseln. Unionspolitiker wollen mit Hilfe von "Galileo" auch in Deutschland neue Wege im Strafvollzug beschreiten. In einer vierteiligen Serie berichtet SPIEGEL ONLINE über das "Gefängnis ohne Gitter".

Hamburg - Donnernd, mit feurigem Schweif, schob sich die ranke Rakete vom kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur in den Himmel. Kurz darauf, am 28. Dezember 2005 um 6.19 Uhr Mitteleuropäischer Zeit, klinkte sich in 23.000 Kilometern Höhe der Satellit "Giove-A" von der Sojus-Rakete ab: eine Premiere von globalen Dimensionen - und zugleich, doch das ahnten nur wenige, womöglich der Beginn einer kopernikanischen Wende in Strafvollzug und Strafverfolgung. Der silbrig glitzernde Würfel bildet die Vorhut von insgesamt 30 künstlichen Himmelskörpern, die mit Atomuhren bestückt bis 2010 ins All geschossen werden sollen. Mit den "Galileo"-Satelliten, Teil eines 3,6-Milliarden-Euro-Programms, will die EU dem Global Positioning System (GPS) des amerikanischen Militärs Konkurrenz machen.

Drunten auf dem blauen Planeten konnten kurz vor Jahresende Menschen in aller Welt auf die verfrühte Silvesterrakete anstoßen - nicht nur in Europa, sondern auch in Galileo-Vertragsstaaten wie in Marokko und Israel, China und Indien. Grund zum Feiern hatten neben Technikern und Wissenschaftlern auch Unternehmer und Verteidigungspolitiker, Geheimdienstler und Polizeistrategen.

Trunkenbolde und Kinderschänder an der virtuellen Kette

Das neue Navigationssystem, das dank hoher Satellitendichte nahezu jede Position auf Erden bis auf einen Meter genau orten soll, wird nicht allein Piloten und Skippern, Autofahrern und Bergwanderern, Mautkassierern und Spediteuren zugute kommen. "Europas Auge im All" eröffnet, so eine EU-Werbeschrift, eine "Myriade von Möglichkeiten" - auch zum Wohl einer Branche, die sich "corrections industry" nennt und deren Wirken noch kaum ins Bewusstsein der Deutschen gedrungen ist.

Frühe Vorläufer der Besserungswirtschaft, einer weltweit boomenden Branche, waren jene Knechte, die einst den Kettensträflingen die schwere eiserne Kugel ans Bein geschmiedet haben. Elektronische Fußfesseln hingegen, klein wie eine Swatch-Uhr und in stetem Kontakt mit dem himmlischen Satellitenreigen, werden im Ausland schon seit geraumer Zeit als Besserungsmittel der Zukunft propagiert - einer Zukunft, die längst begonnen hat.

Die Herolde dieser schönen neuen Welt rühmen die Chance zur elektronischen "correction" jedweder Abweichung vom menschlichen Maß als humanstmögliche Alternative zum Knast und zum Kerker, als eine Art Gefängnis ohne Gitter, geradezu als Ausbund liberalen Strafvollzugs. Und die Befürworter können darauf verweisen, dass schon heute schwedische Trunkenbolde und österreichische Wirtschaftskriminelle, französische Sexualtäter und amerikanische Asylbewerber die elektronische Fessel tragen; allein in den USA wird sie jährlich 100.000 mal angelegt

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Alpträume von Big Brother und Doktor Mabuse

Skeptiker hingegen fühlen sich an Alpträume von einem Big Brother erinnert, wie sie das Kintopp seit Jahrzehnten serviert - von schwarzweißen Überwachungsvisionen wie dem Fritz-Lang-Klassiker "Die 1000 Augen des Dr. Mabuse" bis hin zu Hollywood-Produktionen wie den High-Tech-Knastfilmen "Wedlock" und "Fortress" oder der grotesken "Truman Show". Schon warnen Bürgerrechtler, etwa auf einer Website mit der Adresse dergrossebruder.org, vor einem sich anbahnenden "GAU": dem "net widening effect", einer von der E-Fessel ausgehenden Sogwirkung, an deren Ende die "totale soziale Kontrolle" steht. Mittlerweile ist auch in der Bundesrepublik, wo die elektronische Fußfessel bislang ausschließlich in Hessen eingesetzt wird, die Diskussion darüber entbrannt, ob die deutsche Justiz dem Vorbild anderer - demokratischer wie nicht demokratischer - Staaten nacheifern und Bürger an die virtuelle Kette legen sollte. Unionspolitiker wie der Bayer Günther Beckstein und der Niedersachse Uwe Schünemann haben das Thema bereits auf die Tagesordnung der nächsten Innenministerkonferenz gedrückt.

Die britische Regierung macht schon seit längerem keinen Hehl daraus, dass sie das Galileo-System künftig auch zur elektronischen Verfolgung und zur Ausspionierung verdächtiger Untertanen nutzen will - als "spy in the sky", wie britische Zeitungen den wohl heikelsten der künftigen Anwendungsbereiche flott umschreiben. Anfang Juni 2004 erklärte Unterstaatssekretär David Jamieson vor dem Parlament, mit Hilfe der Galileo-Signale sollten baldmöglichst beispielsweise notorische Sexualstraftäter nach ihrer Entlassung auf Schritt und Tritt verfolgt werden.

Wenn sich der Schlägertyp der Ex-Frau nähert

Sechs Wochen später startete Regierungschef Tony Blair einen europaweit bislang beispiellosen Fünfjahresplan zur Verbrechensbekämpfung. Nach zermürbenden Debatten über den Irakkrieg ging der angeschlagene Labourpolitiker mit starken Worten auf Stimmenfang: Er verkündete nicht weniger als das Ende "des liberalen Konsenses der sechziger Jahre über Recht und Ordnung". Zukünftig werde, so die Regierung Blair, den 5000 aktivsten Gesetzesbrechern des Landes nach verbüßter Haftstrafe eine Fußfessel mit einer Kombination aus Navigationsgerät und Handy verpasst werden. Die Fessel solle einem Kontrollzentrum rund um die Uhr den jeweiligen Aufenthaltsort übermitteln und Alarm schlagen, wenn sich der Überwachte des Geräts zu entledigen versucht.

Der Applaus des Massenpublikums überlagerte die zaghafte Kritik von Bürgerrechtlern. Ist es denn nicht in der Tat zu begrüßen, fragten sich viele Briten, wenn mit Hilfe der elektronischen Fußfessel und spezieller Computerprogramme überwacht werden kann, ob sich ein Pädophiler wirklich an das strikte Verbot hält, sich individuell festgelegten Zonen rund um Kindergärten und Schulhöfe zu nähern? Und könnten nicht sogar Leben gerettet werden, wenn dank "Electronic Monitoring" die Polizei per Funk erfährt, dass ein Schlägertyp gerade die Tabuzone um die Wohnung seiner verhassten Ex-Frau ansteuert? So schlüssig das alles klang - auf Grund typischer Mängel des GPS-Systems geriet das Vorhaben zum "desaströsen Fehlschlag", wie mittlerweile der "Daily Mirror" aufgedeckt hat.

Dem Blatt war ein Geheimpapier aus dem Innenministerium zugespielt worden, in dem die Verantwortlichen einräumen mussten, sie hätten immer wieder den Kontakt zu den elektronisch überwachten Kinderschändern und Frauenschlägern verloren. Grund: Das GPS-Navi, an das die Verdächtigten gefesselt waren, versage nicht nur bei bedecktem Himmel und unter belaubten Bäumen, in Zügen und in Gebäuden, sondern aufgrund eines "Canyon-Effekts" auch in Straßenschluchten.

Wegen der "schlechten Ergebnisse" rieten die Berichterstatter dem Ministerium, eine Nachrichtensperre über das so großspurig angekündigte Prestigevorhaben zu verhängen. Seit der "Paedo Spy Farce" ("Daily Mirror") ist der Druck auf die Regierung Blair gewachsen, die kosmische Überwachung technisch erheblich nachzubessern.

Psycho-Experimente in einem unsichtbaren Pferch

Eine Lösung der einschlägigen Probleme ist absehbar - dank der anstehenden Ergänzung des GPS-Netzes durch die 30 neuen Galileo-Satelliten, die mit einem melodiösen Slogan beworben werden: "All you need is space." Denn die Kombination der beiden (technisch kompatiblen) Systeme bewirkt enorme Synergieeffekte. Weil Galileo in Ballungsgebieten zudem mit terrestrischen Zusatzsendern arbeiten wird, soll sich die Verfügbarkeit in Städten - derzeit lediglich 50 Prozent - nahezu verdoppeln. "In Verbindung mit Galileo erreichen wir 95 Prozent", verspricht Anwendungschef Claudio Mastracci von der European Space Agency (Esa).

Dann könnte Galileo sogar Blinden den Weg durch den Asphaltdschungel der Großstädte und selbst durch das Innere von Gebäuden weisen, schildert die EU die segensreichen Auswirkungen des himmlischen Projekts für behinderte Menschen - ein Nutzen, der in gleichem Maße der Überwachung von Fußfesselträgern in aller Welt zugute kommen würde. Wirklichkeit wird dann womöglich jene irre Vision, die Mitte der sechziger Jahre der amerikanische Professor Ralph K. Schwitzgebel in seinem Labor für Bevölkerungspsychiatrie in der medizinischen Fakultät der Harvard-Universität entwickelt hat: der Traum vom Endsieg über die Kriminalität mit Hilfe der Elektrizität.

Vor Schwitzgebel blinkten auf einem Stadtplan Glühlampen auf. Daneben ratterte ein Fernschreiber und spuckte lange Lochstreifen aus. Die Signale, die der Doktor einfing, stammten von Knastbrüdern und Psychiatriepatienten. Eine kiloschwere Sender-Empfänger-Kombination, die ihnen umgeschnallt worden war, ermöglichte es dem Psychiater, über 400 Meter Distanz jede Bewegung der Versuchspersonen draußen zu verfolgen - und zu bemerken, wenn sich jemand den elektronisch fixierten Grenzen eines unsichtbaren Pferchs näherte.

"Spiderman" inspirierte den Richter von Albuquerque

Schwitzgebel hatte Großes im Sinn. Er plante, wie er 1966 in der "Harvard Law Review" mitteilte, sogar den Einsatz von Sensoren zur Fernkontrolle von Herztönen und Hirnwellen, Pulsschlag und Blutalkohol - all dies, um die Welt zu verbessern. Während sein Bruder Robert im Dienste der CIA abenteuerliche Forschungen zur "mind-control" eigener Truppen und fremder Spione betrieb, schwärmte Ralph Schwitzgebel davon, Kriminellen durch ein gitter- wie drahtloses "elektronisches Rehabilitationssystem" die Einkerkerung zu ersparen. Die "Schwitzgebel-Maschine", die er 1969 patentieren ließ, geriet jedoch bald in Vergessenheit - die Zeit war nicht reif dafür.

Eingeführt hat die elektronische Fessel anderthalb Jahrzehnte später ein Bezirksrichter namens Jack Love aus Albuquerque im US-Staat New Mexico. Wie Love dazu kam - das "klingt wie eine Legende und ist doch wahr", wie der deutsche Kriminologe Michael Lindenberg weiß. Richter Love hatte in einem bunten "Spiderman"-Comic geblättert, in dem Gangsterkönig Kingpin dem Helden heimlich einen Minisender appliziert, um den Erzfeind immer unter Kontrolle zu haben. Das Bildermärchen vom Spinnenmann, der sich, mit einer Funkwanze bestückt, in New York von Wolkenkratzer zu Wolkenkratzer schwingt, brachte Love auf die Idee, Kleinkriminelle durch elektronisch überwachten Hausarrest vor dem Knast zu bewahren.

Auf Drängen des humanitär eingestellten Richters baute ein Bastler in einem Garagenbetrieb das erste Gerät. Bald nach einer erfolgreichen Premiere der elektronischen Fußfessel in Florida, im Orwellschen Symboljahr 1984, übernahm der Unternehmer David Hunter aus Boulder in Colorado die Klitsche. Hunter, dessen Firma Boulder Industries zuvor Geräte zur Ortung von Milchkühen produziert hatte, überarbeitete erst einmal das Design der Box, die "ziemlich klobig war, dreimal so groß wie eine Zigarettenschachtel und nicht mal wasserdicht". Damit begann eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen - und Doktor Schwitzgebels Traum näherte sich mehr und mehr der Verwirklichung.

Fußfessel-Boom von Katalonien bis zur Karibik

Vor allem die dramatische Überfüllung der Gefängnisse in den USA - wo mittlerweile sage und schreibe 2,3 Millionen Menschen hinter Gittern sitzen - trug dazu bei, dass sich der vergleichsweise billige Hausarrest mit Fußfessel "explosionsartig" (Lindenberg) als Alternative zum Kittchen ausbreitete. Hunters Firma BI Incorporated avancierte zum Marktführer. Heute rühmt sich BI der Kooperation mit Justizbehörden, Privatgefängnissen und Bewährungshilfefirmen in mehr als 2700 Städten.

Die "corrections industry" floriert. Ob Alkoholfahrer oder Mafiosi, Sexualtäter oder Wirtschaftskriminelle - Stunde um Stunde werden in den USA Menschen elektronisch gefesselt. In Großbritannien tragen jeden Tag mehr als 10.000 Täter das Fußband, zumeist versehen mit der Technik der ersten Generation, noch ohne Satellitenortung.

Das Prinzip ist simpel: Ähnlich wie der schnurlose Hörer eines Heimapparats steht die Box am Bein mit dem Telefonnetz in Verbindung. Entfernt sich der Fesselträger über eine vereinbarte Distanz hinaus von dem Modem an der Telefonsteckdose, macht das System automatisch einem Zentralcomputer Meldung. Die Datenbank wiederum gleicht ab, ob der Überwachte seine individuell geregelten Hausarrestzeiten verletzt hat, und alarmiert gegebenenfalls über SMS oder E-Mail die Polizei, die Justiz oder eine private Überwachungsfirma. Im Wiederholungsfall drohen Sanktionen - von der Verlängerung der Fesselzeit bis zum Abbruch des Hafturlaubs.

Kein Monat vergeht derzeit, ohne dass BI oder ein Konkurrenzunternehmen irgendwo auf der Welt neue Aufträge erhaschen kann. Die israelische Firma Elmo-Tech etwa verkaufte voriges Jahr Fußfessel-Systeme an Frankreich und an die spanische Region Katalonien, an Dänemark, Australien und sogar an die Justizbehörde von Curaçao in der Karibik.

Alkoholausdünstungen per Haut-Sensor fernüberwacht

Einen "wichtigen Schritt voran" sieht Elmo-Tech-Präsident Yoav Reisman in der Absicht "mehrerer europäischer Länder", aus Kostengründen Zehntausende von Untersuchungshäftlingen in Electronic-Monitoring-Programme einzubeziehen. Und mit Hoffnung erfüllt ihn und seine Branchenkollegen auch der Trend, notorische Alkoholtäter - die allein in den USA jährlich in 3,7 Millionen Delikte verwickelt sind - durch elektronische Fernkontrollen zur Nüchternheit zu zwingen.

In Schweden etwa müssen Trunkenheitsfahrer während eines Fußfessel-Arrests daheim regelmäßig in ein Elmo-Tech-Gerät blasen, das per Video ihre Identität überprüft und die Alkoholwerte kontinuierlich weiterleitet. Branchenriese BI offeriert zum selben Zweck einen "Sobrietor" (von sobriety, Nüchternheit). Die US-Firma LCA bietet sogar eine Fessel an, die rund um die Uhr per Haut-Sensor die Alkoholausdünstungen des Überwachten misst und per Modem den Überwachern meldet.

Eines freilich kann die Kontrolle des Hausarrests per Telefonnetz nicht verhindern: dass die Gefesselten in der ihnen eingeräumten Freizeit draußen, außerhalb der Reichweite der heimischen Databox, unbemerkt Verbrechen begehen. Solche Schwächen, meldet der britische Marktführer "Group 4 Securicor", führten zu "wachsender Nachfrage nach mächtigeren Überwachungsinstrumenten" - eben jenen Fußfesseln der zweiten Generation, die mit Satellitenhilfe auch jeden Schritt und jeden Tritt von Außerhäusigen dokumentieren können.

Wenn Galileo die bisher schon genutzten Ortungsmöglichkeiten per GPS perfektioniert, wird der Boom, so hofft die Branche, erst so richtig zu brummen beginnen - und dann auch in Deutschland, dank CDU und CSU.

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Die Elfe folgt auf Schritt und Tritt

8.2.2006

In den Alpen sollen vom Sommer an satellitengestützte Techniken erprobt werden, mit denen auch der Lebenswandel von Alkoholikern, Herzschwachen und Sexualtätern kontrolliert werden kann. Die Überwachungsindustrie operiert, wie Kritiker mahnen, auf einem schmalen Grat zwischen Gut und Böse.

Hamburg - Die Bergwelt um Adolf Hitlers einstigen Alpensitz auf dem Obersalzberg wird noch heute mit einem Wort des Heimatdichters Ludwig Ganghofer beworben: "Herr, wen du lieb hast, den lässt du fallen in dieses Land." Hier, im äußersten Südosten der Bundesrepublik, wird die künftige Nutzung des EU-Satellitensystems Galileo vorbereitet - und das nicht etwa, weil das hochgelegene Berchtesgadener Land "dem Himmel so nah" ist, wie ein Werbeslogan besagt. Im Winter wirkt das weiße Wunderland rund um Berchtesgaden im Flockenwirbel wie eine Schneekugel - genauer gesagt: wie eine auf den Kopf gestellte Schneekugel. Die Stadt liegt in einem Talkessel, umgeben von hohen Bergen. Und genau dieser Umstand prädestiniert den Landstrich zum künftigen "Navigationsmekka" der Welt, wie stolz ein regionales Tagesblatt meldet. Toter Mann, Stöhrhaus, Kneifelspitze, Kehlstein, Jenner, Grünstein - auf jedem dieser Gipfel rund um den Kessel wird ein unscheinbarer Transmitter installiert. Mit ihren gerade mal 30 Zentimeter langen Antennen sollen die Sender im Sommer erstmals exakt jene Signale simulieren, die von 2010 an die Galileo-Satelliten aus dem All funken werden.

Dutzende Institute und Firmen im In- und Ausland, sogar Amerikaner und Chinesen, haben bereits Interesse bekundet an der weltweit einzigartigen "Galileo-Test- und Entwicklungsumgebung", abgekürzt GATE: Das Tor zur Zukunft der Satellitennavigation ermöglicht es, in einem 25 Quadratkilometer großen Kerngebiet Geräte aller Art für die Nutzung des neuen Satellitensystems unter realen Bedingungen zu erproben: Die Signale aus der Region der Gipfelkreuze und Berghütten treffen unten in den Schluchten und Tälern gerade so ein, als kämen sie aus dem Weltall.

Hightech und Trachtenjoppe im Herrgottswinkel

Natürlich hofft CSU-Landrat Georg Grabner, ein schwarzer Lokalpatriot in grünen Loden, dass GATE seinem weit abgelegenen Kreis endlich den Anschluss an jenes boomende Bayern beschert, das seine Münchner Parteioberen seit langem mit der Parole "Laptop und Lederhose" propagieren. Hightech und Trachtenjoppe im Herrgottswinkel - das wär's.

Was genau in Berchtesgaden künftig entwickelt werden soll, bleibt den Berglern allerdings verschlossen. Wenn im kommenden Sommer Fremde mit kleinen Geräten an Arm oder Bein hinauf zur Kneifelspitze kraxeln, dann könnten es, wie im vorigen Jahr, durchaus wieder "Herz-Kreislauf-Wanderer" sein, die mit einer ausgeliehenen Pulsuhr ihre Kräfte auf der "Testwanderstrecke" der Tourist-Info messen - oder aber Ingenieure, die Geräte ganz anderer Art an ihrem Körper erproben: Produkte für den florierenden Überwachungsmarkt, an dem auch verstärkt deutsche Firmen teilhaben sollen.

Die Voraussetzungen dafür werden derzeit 180 Kilometer westlich von Berchtesgaden geschaffen, in Oberpfaffenhofen bei München, einem Ort der Gegensätze: Wenn dort das Geläut der 1455 geweihten Dorfkirche den weißblauen Himmel mit Gebimmel füllt, befassen sich nahebei in coolen Zweckbauten Forscher mit der Anwendung von Zeitmessern ganz anderer Art - mit Atomuhren, die fähig sind, Jahrmillionen in Nanosekunden zu zerstückeln und damit die Satellitennavigation weiter zu optimieren, die hier jeder nur "SatNav" nennt.

Warnungen vor Monsterwellen und Killeralgen

Der deutsche Think Tank der europäischen Raumfahrtindustrie liegt inmitten einer ländlichen Seenlandschaft, deren Dörfer sich oft noch mit dem traditionellen Maibaum schmücken. Hier, beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), entsteht am Rande eines alten Flugplatzes aus der Hitler-Zeit die internationale Kontrollzentrale für Galileo, eines der größten und teuersten Weltraumprogramme Europas. Fixe Pioniere aus aller Herren Länder informieren sich in Oberpfaffenhofen über den rapide expandierenden Massenmarkt für SatNav-Anwendungen, mit denen bereits jetzt jährlich acht Milliarden Euro umgesetzt werden. Besuchergruppen von weither - mal aus Peking, mal aus dem australischen Queensland - üben sich in der Aussprache des Zungenbrechers O-ber-pfaf-fen-hofen.

Wer es genau wissen will, erfährt, dass sich der Namensteil Pfaff dem Abkürzungsfimmel früherer Lateiner verdanke: Pastor fidelis animarum fidelium. Treuer Hirt der treuen Seelen - ein ganz ähnliches Bild zeichnet das DLR von den Aufgaben der Oberpfaffenhofener, die auch ein Zentrum für satellitengestützte Krisenintervention unterhalten, das europäische Weltraumlabor "Columbus" betreiben sollen und das Galileo-Testfeld im Berchtesgadener Talkessel vorbereiten.

Der Satellitenreigen soll nicht nur die Wirtschaft in Bayern nach vorn beamen, wo die Regierung dank Galileo mit Zehntausenden neuer Arbeitsplätze rechnet. Vom Himmel hoch kann die ganze Welt bald mit höchster Präzision vor herandonnernden Monsterwellen, vor Autobahnstaus und vor Killeralgen gewarnt werden.

Und nach guter Hirten Art wird Galileo auch helfen können, Verwirrte und Verirrte aufzuspüren - "Personal Localization" nennt sich das, ein Verfahren, nach dem jetzt bereits automatische Seenotsender für Über-Bord-Gefallene funktionieren. Auch wenn ein gebrechlicher Greis oder ein verunglückter Bergwanderer, ein Infarktpatient oder ein Diabetiker in abgelegenen Gegenden in Lebensgefahr gerät - dann könnten "E-Kits" ("E" wie "Emergency") mit automatisierten Alarm- und Ortungsfunktionen vermehrt helfen, Retter heranzuleiten. Auch DLR-Techniker haben bereits diese "miniaturisierte Synthese der Funktionalitäten von Handy, GPS-Empfänger, Mikrocomputer und Modem" fix und fertig entwickelt; das Gerät ist "bequem am Körper zu tragen" und "im gesamten Bundesgebiet flächendeckend einsatzfähig".

Eher beiläufig hieß es schon 2002 in den "DLR-Nachrichten", so ein E-Kit könne auch helfen, "Entführungen zu vereiteln". Überhaupt lasse es sich "für die unterschiedlichsten Anwendungen modifizieren und konfigurieren". Verwendbar wäre das E-Kit natürlich auch als E-Fessel für Vorbestrafte. In Sachen Anwendung seien halt "der Phantasie nur wenige Grenzen gesetzt", so die DLR-Koordinatoren Klaus Heimann und Hans-Hermann Vajen: "Da die räumliche Bewegung des Gerätes aus der Ferne prinzipiell verfolgbar ist, funktioniert es wie eine elektronische Fußfessel."

In der Außendarstellung der Galileo-Vorteile rückten die bayerischen Weltraumstrategen statt der Fesselfunktionen lange Zeit lieber andere Möglichkeiten in den Vordergrund. Denn auch sie wissen, was der britische Professor Vidal Ashkenazi im vorigen Mai bei einem Workshop in Oberpfaffenhofen betont hat: Während ein SatNav-Einsatz zum Schutz von Alzheimer-Patienten "kaum Probleme bezüglich öffentlicher Akzeptanz" berge, rangierten gewisse andere Anwendungen "in einem schmalen Grenzbereich zwischen dem, was ethisch akzeptabel ist und was nicht".

Wettrennen um die ersten Galileo-Geräte

Der CSU-Wirtschaftspolitiker Otto Wiesheu warb noch im vorigen Jahr für Galileo, indem er den Nutzen der Satellitennavigation für Millionen von Fußball-Fans herausstellte: Eine Firma habe bereits Chips für die Schienbeinschoner von Kickern und für den Ball selbst entwickelt. Damit werde sich dank Galileo ermitteln lassen, "ob ein Spieler im Abseits oder ob der Ball wirklich im Tor war".

Ein viel besseres Geschäft verspricht allerdings der Einsatz im Dienst von Justiz, Polizei und Bewährungshilfe, wie er etwa in den USA schon hunderttausendfach erfolgt. Auch dort hat das Wettrennen darum begonnen, welche Firma als Erste mit Geräten auf den Markt kommt, die neben den GPS- auch die künftigen Galileo-Signale nutzen können. Dann werden Spitzengeräte nach Art des "ExacuTrack" der Firma BI nahezu lückenlose Bewegungsbilder und automatische Alarmierung garantieren, sobald jemand vom rechten Weg abweicht.

Die Handhabung, so die BI-Werbung, sei für Bewährungshelfer, Polizisten oder andere "officers" schon jetzt kinderleicht. Auszug: "Die Informationen über Straftäter sind in einem gesicherten Überwachungssystem gespeichert und über jeden Computer mit Internet-Anschluss und ab Internet Explorer 5.5 aufwärts zugänglich. Das ermöglicht rund um die Uhr in Echtzeit den Zugriff auf die Straftäter-Daten und erlaubt dem Officer, schnell und einfach Straftäter einzugeben, Straftäter-Zeitpläne aufzustellen, Einsperrungs- und Aussperrungszonen festzulegen.BI ExacuTrack benutzt Microsoft MapPoint als Kartengrundlage für die Festlegung von Einsperrungs- und Aussperrungszonen. Die Officers verwenden einfach die Computer-Maus, um Punkte auf einen Landkarten-Bildschirm zu zeichnen und Zonen zu definieren. Die Officers können für jeden Straftäter eine unbegrenzte Zahl von Zonen und Zeitplänen festlegen."

Fußfesseln für Hooligans und Flüchtlinge

Unbegrenzt scheinen auch die Anwendungsmöglichkeiten. Das britische Innenministerium erwägt, die Satellitenüberwachung schon "bei sehr geringfügigen Taten einzusetzen, um die Gefängnisse nicht unnötig zu überfüllen". Das US-Heimatschutzministerium experimentiert in acht Städten mit GPS-Fesseln für Immigranten als Alternative zum Aufnahmelager. Zunächst wurden 1700 Flüchtlinge auf diese Weise gehindert, vor Abschluss ihres Asylverfahrens unterzutauchen. Und auch in Kontinentaleuropa ist die Fesselindustrie schon gut im Geschäft.

Als "Durchbruch" feierte Elmo-Tech-Präsident Reisman voriges Jahr einen Geschäftsabschluss mit den Niederlanden: Mit Fußfessel-Hausarrest wollen die Holländer ihre Fußball-Hooligans während bestimmter Spiele dazu veranlassen, dem Stadion fernzubleiben. Im Oktober letzten Jahres hat das französische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das es erlaubt, unter anderem Sexualstraftätern E-Fesseln anzulegen. In Oberösterreich sind am 19. Januar erstmals zwei Gefängnis-Insassen, die ihre Strafe zum Teil verbüßt haben, auf "halbfreien Fuß" gesetzt werden, wie die "Oberösterreichischen Nachrichten" die Überwachung per GPS-Mobiltelefon umschrieben.

Die Elektronik-Fessel, in Österreich "ELFE" abgekürzt, soll im Sommer auf Wien und Graz ausgedehnt werden. In Deutschland allerdings konnte die Branche bislang nicht so recht ins Geschäft kommen - abgesehen von gerade mal 35 israelischen Fußfesseln der ersten Generation, mit denen Elmo-Tech vor gut fünf Jahren das hessische Justizministerium belieferte. Kein einziges anderes Bundesland mochte bislang dem Vorreiter Hessen folgen. Doch das soll sich ändern.

Morgen im 3. Teil dieser Serie: Politische Versuchsballons aus München, Potsdam und Hannover - Unionspolitiker fordern Fußfesseln für Schulschwänzer und Islamisten - Die Erfahrungen mit der Hessen-Fessel

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"Herr T. läuft in der Spur"

9.2.2006

Unionspolitiker erwärmen sich zunehmend für die elektronische Fußfessel - unter anderem als vermeintliche Patentwaffe gegen kriminelle Schulschwänzer und islamistische Hassprediger. Kritiker sprechen von "Schnapsideen", die Befürworter verweisen auf Erfahrungen in Hessen. Hamburg/Frankfurt - Am selben Tag, als die EU in Baikonur den ersten Galileo-Satelliten auf seine Umlaufbahn schickte, startete Bayerns Innenminister Günther Beckstein in München einen Versuchsballon. Flankiert von seinem hannoverschen Kollegen Uwe Schünemann, forderte der CSU-Politiker drei Tage vor Silvester 2005 die Einführung der elektronischen Fußfessel für militanzverdächtige Muslime - jene Personengruppe, die in Deutschland weniger Sympathie genießt als jede andere, Kinderschänder ausgenommen.

"Viele der etwa 3000 gewaltbereiten Islamisten in Deutschland, Hassprediger und in ausländischen Terrorcamps ausgebildete Kämpfer" sollten künftig E-Fesseln tragen, echote aus Hannover Innenminister Schünemann. Zwar erntete der Christdemokrat selbst im eigenen schwarz-gelben Regierungslager Hohn und Spott. FDP-Fraktionschef Philipp Rösler nannte das Vorhaben "populistisch, rechtsstaatlich bedenklich und zur Bekämpfung des Terrorismus ungeeignet". Und der freidemokratische Umweltminister Hans-Heinrich Sander machte sich lustig über den "Vorschlag für die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr".

Doch Schünemann, so kommentierte kundig die "Hannoversche Allgemeine Zeitung", "meint es ernst". Tatsächlich will der CDU-Politiker das Thema schon in der nächsten Innenministerkonferenz zur Sprache bringen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Verankerung der Islamisten-Fessel im Zuwanderungsgesetz, behauptet er schlankweg, gebe es nicht, und an Unterstützung werde es ihm in der Runde schon gar nicht mangeln: "Innenministerkollegen signalisieren mir, dass ich da auf offene Ohren stoße."

Ordnungsruf vom "Mozilla-Ritter"

Zumindest ein Ex-Justizminister, der niedersächsische Sozialdemokrat Christian Pfeiffer, qualifizierte Schünemanns Vorschlag als "sinnvoll" - allerdings, so schränkte der Kriminologe ein, nicht in Tausenden, sondern gerade mal in 10 bis 20 Fällen. Denn in Frage komme die Fußfessel lediglich für die winzige Gruppe von Ausländern, deren Gefährlichkeit außer Frage stehe, die aber nicht ausgewiesen werden könnten, weil ihnen in der Heimat Folter drohe.

Was ansonsten in einem Rechtsstaat zu gelten habe, rief jüngst in einem Internet-Chat ein Diskutant namens "Mozilla-Ritter" dem Minister Schünemann ins Gedächtnis: "Entweder die Leute sind überführt, dann kann man sie einsperren, oder sie sind dringend verdächtig, dann kann man sie in U-Haft nehmen für ein paar Tage, oder sie sind nur verdächtig, dann kann man gar nichts, und das ist gut so."

Zwei Jahre zuvor hatte Schünemanns damaliger Brandenburger Innenminister-Kollege Jörg Schönbohm mit einem ähnlichen Vorstoß Schlagzeilen gemacht: Der christdemokratische General a.D. wollte "extrem kriminelle Schulschwänzer" per Fußfessel zur Räson bringen. Der Vorschlag wurde von diversen Kultusministerien als "Schnapsidee" (Baden-Württemberg) oder "blanker Unsinn" (Niedersachsen) verworfen.

CSU-Rechtsexperte Norbert Geis immerhin aber riet: "Wir sollten darüber nachdenken." Wer darüber nachdenkt, begreift rasch: Die Befürworter in CDU und CSU verwechseln da etwas. Denn sie berufen sich durchweg auf die Fußfessel-Erprobung in Hessen, wo, so Schünemanns Sprecher Klaus Engemann, "mit diesem Mini-Sender bereits die besten Erfahrungen gemacht" worden seien.

Der Unterschied zwischen "Tagging" und "Tracking"

Dabei verwendet Hessen ausschließlich Fußfesseln der ersten Generation, einsetzbar nur zur Hausarrest-Überwachung innerhalb eines eng begrenzten Empfängerradius. Bewegungsprofile von Schulschwänzern oder Aufenthaltsorte reisender Islamisten jedoch könnten allenfalls satellitengestützte Systeme der zweiten Generation liefern - und die werden von Experten gänzlich anders bewertet als die Hessen-Fessel.

Ein "großer Unterschied" bestehe rechtlich zwischen der simplen Hausarrest-Überwachung per Telefon ("Tagging") und einer permanenten satellitengestützten Bewegungskontrolle ("Tracking"), urteilt der Frankfurter Kulturanthropologe Sven Bergmann, der dem hessischen Versuch eine umfassende Studie gewidmet hat. Während der Hausarrest als Knast-Alternative von etlichen Fachleuten in der Tat positiv beurteilt wird, ließen, so meint Bergmann, "Satelliten-Systeme à la GPS oder Galileo totale Überwachungsszenarien näher rücken", wie sie einst George Orwell in seinem Roman "1984" beschrieben habe.

Zu denen, die in Hessen per "Tagging" kontrolliert werden, zählt beispielsweise der 23-jährige Ömer T., der mit seiner Fußfessel auch Fußballspiele bestreiten kann. Die Belastbarkeit des kleinen Gerätes an seinem Unterschenkel nötigt dem Freizeit-Kicker durchaus Respekt ab. "Da hab' ich schon einige Tritte drauf bekommen", sagt er. Bei den Spielen in der Bezirksoberliga in Frankfurt am Main, geht es mitunter hart zur Sache. Doch der Mini-Sender, geschützt durch Heftpflaster und Plastik-Schienbeinschützer, hat bisher auch beim Sport nicht gelitten.

Wie eine schwarze Swatch-Uhr ohne Zeiger

Wie eine etwas zu klobig geratene Swatch-Uhr ohne Zeiger sieht das tiefschwarze Kästchen aus, das Ömer T. seit Oktober rund um die Uhr etwas oberhalb des linken Fußknöchels trägt und das als "Elektronische Fußfessel (EFF)" in der Inventarliste der hessischen Justizbehörden steht. "Für mich", sagt Ömer, "ist das Ding die letzte Chance." Der Frankfurter hat eine bewegte Jugend hinter sich. Er wuchs auf in einem von Industrie- und Hafenanlagen umlagerten Stadtviertel im Osten der Stadt, in dem man schnell die falschen Leute trifft. "Die hatten Super-Autos und kamen in jede Disco rein", erzählt Ömer.

Er eiferte den neuen Freunden nach, und auf seinem Konto sammelte sich bald einiges an: Körperverletzung, Raub, ein Jugendarrest. Als er 19 war, nahmen die Älteren ihn mit zu einer, wie sie meinten, "großen Sache": Ein Wachmann wurde mit Chloroform betäubt, ein Warenlager ausgeräumt, auch eine Pistole war im Spiel. Vier Jahre später hat einer der Beteiligten, eigentlich wegen einer anderen Sache verhaftet, den bewaffneten Raub gestanden und Namen genannt. Seitdem wartet Ömer T. auf seinen Prozess.

"Die ersten zwei Wochen war ich in U-Haft", sagt er, "das war ein Alptraum." Als ihm das Angebot gemacht wurde, bis zur Verhandlung die Haftzelle gegen eine Fußfessel zu tauschen, überlegte Ömer T. nicht lange. Einmal wöchentlich, meist kurz nach der Arbeit, stellt er seitdem seinen Motorroller vor dem "Haus B" in der Frankfurter Gerichtstraße ab, betritt eine unscheinbare Toreinfahrt, wendet sich an der ersten Tür nach links und drückt auf den Klingelknopf neben der Aufschrift "Projekt Elektronische Fußfessel". Im Erdgeschoss liegt das Büro von Stefan Fuhrmann, und der ist zufrieden: "Herr T. läuft vorbildlich in der Spur", sagt Fuhrmann, "wenn er Glück hat, kommt er vor Gericht mit einer Bewährungsstrafe weg."

In Frankfurt kümmert sich Fuhrmann mit fünf weiteren Bewährungshelfern, jeder etwa mit der Hälfte seiner Arbeitszeit, um derzeit 17 Fußfessel-Träger. Ein traumhafter Betreuungsschlüssel, normalerweise muss ein einziger Bewährungshelfer so um die 60 Fälle gleichzeitig bearbeiten. "Wir könnten noch viel mehr Probanden aufnehmen", sagt Rita Amthor, die Fußfessel-Projektleiterin in Frankfurt, "aber viele Richter nutzen dieses Instrument leider noch immer viel zu zaghaft."

Bei jeder Verspätung löst der Rechner SMS-Alarm aus

Amthor, 56, ist eine resolute Frau, Bewährungshelferin seit 1972. Sie hat viel erlebt in ihrem Beruf, aber die Sache mit der Fußfessel überzeugt sie wirklich. "Wir sind ganz nah dran an unseren Probanden", sagt Amthor, "wir passen auf sie auf, ohne sie zu bespitzeln. Wir können darauf achten, dass sie ihren Alltag ordentlich strukturieren, einer Arbeit nachgehen, nicht mit den alten Kumpels bis tief in die Nacht in der Kneipe rumhängen und wieder auf dumme Gedanken kommen."

Ömer T. hielt sich bisher genau an die Regeln. Der Apparat, der das kontrolliert, steht diskret vor Besucheraugen versteckt hinter verschlossenen Schranktüren neben dem Fernseher in seinem Wohnzimmer. Die "Data Box" ist etwa so groß wie eine alte Reiseschreibmaschine, sie empfängt die Signale aus dem Fußfesselsender. Sobald Ömer T. in der Nähe seiner Wohnung ist, meldet die schwarze Box dies über eine Telefonleitung in ein Rechenzentrum im osthessischen Hünfeld. Dort vergleicht ein Computer die Anwesenheitszeiten mit einem gespeicherten Wochenplan.

Wenn Ömer T. später nach Hause kommt als im Plan vorgeschrieben, wenn er noch in seiner Wohnung sitzt, obwohl er eigentlich bei der Arbeit sein müsste, wenn jemand versucht, den Standort der Data-Box zu verändern - immer dann schickt der Rechner eine automatische Alarm-SMS an die Bewährungshelfer. "Wir gehen der Sache sofort nach", sagt Projektleiterin Amthor. Oft lasse sich der Vorfall schon mit einem Anruf bei den Probanden klären, die verpflichtet seien, stets ihr Handy auf Empfang zu haben.

Hausarrest auch in lauen Sommernächten

"Wenn dabei herauskommt, dass einer mit der Straßenbahn im Stau steht, ist das in Ordnung", sagt Amthor. Klingt die Erklärung nicht so plausibel, könne sie auch "sehr energisch werden", so die Bewährungshelferin: "Wir können unmittelbar reagieren und uns die Probanden zur Brust nehmen, das ist ein Riesen-Vorteil."

Für die Fußfesselträger wiederum liegt der Vorteil des Systems in der Chance auf Resozialisierung: "Ich kann meinen Job behalten und ein halbwegs normales Leben führen", sagt Ömer T. Er hat eine Anstreicher-Ausbildung abgeschlossen, arbeitet jetzt für einen Hausmeister-Service. Zudem hat der Haftrichter im elektronischen Wochenplan Zeiten für regelmäßiges Fußballtraining am Abend und Spiele am Wochenende berücksichtigt.

Ömer T. sieht die Chance, sich dadurch vielleicht sogar für einen größeren Verein zu empfehlen und noch Karriere zu machen. Mit den Jungs von früher, sagt er jedenfalls, habe er jetzt "nichts mehr zu tun". Positiv urteilen auch andere Überwachte über das Leben mit der Fußfessel. Als etwa Sibel T. die Elektronikbox angelegt wurde, empfand sie den Fremdkörper am Unterschenkel zwar zunächst als störend. Doch bald schon stellte sich das Missbehagen nur noch selten ein: "Klar", sagt sie, "wenn ich duschen gehe, dann sehe ich das halt, man muss es halt immer so hin und her schieben, halt so Frauenprobleme, Beine rasieren oder so, dann muss man es immer hoch und runter schieben."

"Die können das Teil ruhig mehr Leuten verpassen"

Und dem Hausarrestanten Stefan N. hat "gestunken", dass er auch an lauen Sommerabenden nicht die Wohnung verlassen durfte, ohne zu riskieren, wegen Verletzung der Auflagen wieder ins Gefängnis gesteckt zu werden. Abends um zehn, erzählt er, "da gehen die ganzen Jungs noch weg, noch ein bisschen abfeiern und machen und tun, und ich hock dann daheim."

Wenngleich der Hausarrest mit Fußfessel kein Vergnügen sei, stelle er doch gegenüber der Haftanstalt das deutlich kleinere Übel dar - diese Ansicht scheint typisch auch für andere hessische Überwachte, deren Antworten der Kulturanthropologe Sven Bergmann ebenfalls protokolliert hat. "Das kann man gar nicht mit dem Knast vergleichen", lautet ein typisches Urteil über den Arrest in der eigenen Wohnung: "Hier macht halt keiner für mich die Post auf. Ich mach die selber auf. Ich lese die selbst. Ich kann telefonieren, mit wem und wann ich will. Das ist was ganz anderes. Also, die können das ruhig mehr Leuten verpassen, das Teil."

Morgen im letzten Teil dieser Serie: "Ei, du kannst, aber darfst nicht" - Warum Kritiker die Hessen-Fessel ablehnen - Vom rot-grünen Reformprojekt zum schwarzen Schreckgespenst - Die "dritte Generation" der elektronischen Fußfessel naht

[  spiegel.de





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