logo



start
aktuelles
lesbiangaytransgenda
women
prison
prisonandsociety
mixed stuff
redaktion
kiralina
links


[  zurück  ]


Als Frau im Knast

Es ist ein Kapitel von Frauen für Frauen, über Frauenknast. Einige Erfahrungen, die wir gemacht haben. Das, was wir mit unseren Augen gesehen haben. Es ist viel zu wenig, weil es zu wenig Augen sind. Es ist auch keine Analyse darüber, was den Frauenknast grundsätzlich von einem Männerknast unterscheidet; das würde auch bedeuten zu beschreiben, was die Frauen von den Männern unterscheidet, wie sie anders sehen, denken, fühlen, leben.

Und das in einer fast schauspielartigen Situation, wo die aufsässigen, die stolzen, die unterwürfigen Gefangenen Frauen sind und auch die Aufse­her und die intellektuellen Aufseher, die Psychologen, Fürsorger. Und auch die obersten Anstalts-Vertreter der Staatsgewalt sind Frauen. Der gesamte Ratgeber ist an Gefangene gerichtet, an Frauen und Männer. Auch wenn es oft so aussieht, als gäbe es nur männliche Gefangene. Das liegt nicht nur an den Worten, die man benutzt, sondern daran, daß Frauen ihre eigenen Erfahrungen machen. Davon haben wir ein paar Momente beschrieben.

Im medizinischen Teil dieses Buches gibt es außerdem noch ein Kapitel über Frauenkrankheiten. Wir finden das sehr wichtig, weil die psychische Situation im Knast viele körperliche Schwierigkeiten mit sich bringt: Hautausschläge, Menstruationsstörungen, Geschwüre usw.. Vielleicht läßt sich durch Wissen darüber und durch Konzentra­tion, Entspannung, Gymnastik einiges vermeiden. Umgekehrt könnte auch das aufmerksame Alleinsein mit dem eigenen Körper ein neues Bewußtsein und Gefühl mit ihm bringen.


[  Gefangene. Beziehungen untereinander
[  Gefangene - Schliesserinnen
[  Kinder im Frauengefängnis




Gefangene. Beziehungen untereinander

Die erste Zeit

Wenn du in den Knast eingeliefert worden bist, alle Aufnahmeprozedu­ren hinter dir und "deine" Zelle zugeteilt bekommen hast, bist du erstmal allein. Viele erleben das mit Panik. Es sieht aus wie ein endgülti­ges Verschlossensein, abgeschnitten von allen die dir lieb sind, von allem woraus das bisherige Leben bestand, vielleicht sind sogar Kinder drau­ßen geblieben und du weißt nicht was aus ihnen wird. - Übrigens ist es so, daß das Jugendamt die Kinder in ein Heim einweisen wird; um das zu verhindern, müßtest du Verwandte oder Bekannte haben, die sich der Kinder annehmen (näheres dazu steht im Abschnitt 2.4.). Als ich mich einige Monate später an die erste Zeit im Knast erinnert habe, war ich erstaunt über meine Vorstellungen von Einsamkeit im Knast. Abgeschnitten ja, eingeschlossen ja, aber nach und nach hat sich eine neue Art von Leben entwickelt, ein Knastleben. Ganz allein, aber auch umgekehrt, ganz für mich. Für eine Mutter mit ein paar Kindern, für fast jede Frau eine ganz neue Situation. Ganz und gar ohne Verant­wortung für irgendjemand, nur für sich selber. Von früher her, bevor ich mit meinem Mann lebte, kenne ich das Gefühl.

Es ist also möglich, ohne ihn zu leben, fast vergessen hätte ich das.

In der ersten Zeit ist es wichtig, sich im Alleinsein nicht schwimmen zu lassen. Nimm dir irgendetwas vor, vielleicht etwas zu lernen, eine Spra­che zum Beispiel. Oder zu malen oder schreiben. Wenn ich aufgeschrie­ben habe, wie ich mich gerade fühle und was mir alles durch den Kopf geht, bin ich wacher geworden mir selber gegenüber und auch heiter manchmal. Als ich längere Zeit niemanden gesehen hab außer Schlie­ßern, hat mich manchmal ein fast überschwengliches Gefühl zu mir selber überfallen. Ich hab meinen Arm gesehen und gedacht: — mein Arm. Ich bin das, ich. - Und war stolz auf mich, ohne besonderen Grund, den ich werweißwem gegenüber zu rechtfertigen hätte, nein einfach so. Allein in der Zelle wirst du dich viel mit deinem Körper beschäftigen und vielleicht lernen, ihn nicht so achtlos zu behandeln wie sonst. Außer dich mit dir selber zu beschäftigen, ist es natürlich wichtig, alles mögliche zu versuchen, um mit anderen Frauen in Kontakt zu kommen. Im Normalfall wirst du sie beim Hofgang sehen. Einige kennen sich schon, einige sind sich fremd. Es sind vor allem die Frauen von der Zugangsstation, die im Hof laufen.

Die ändern arbeiten oder sind Strafgefangene und laufen deshalb sowieso getrennt. Die du triffst, sind also in derselben Situation wie du. Wenn niemand auf dich zugeht, gehst du eben auf jemand zu. Die schon,länger da sind, werden dir sagen, wie du das und jenes machst: zum Arzt gehn, Wäsche tauschen, Bücher bekommen usw. Was in der U-Haft immer und immer wieder erzählt wird, sind die Geschichten über die Verhaftung, über den "Fall", über die Aussichten bei der Verhandlung. Manchmal kann man's schon nicht mehr hören. Aber es ist eben für jede die neu ankommt wichtig, das loszuwerden beim Reden.

Wenn du nach einigen Wochen auf die normale Station für Untersuchungsgefangene verlegt wirst, gerätst du ins eigentliche "Knastleben". Du bist zwar verwaltet und dein Tag ist vorbestimmt, aber du bist durchaus dabei noch Handelnde. Wenn du nicht genau hinschaust und alles mitmachst, was scheinbar so sein muß und ist, wirst du vor lauter Anpassung verblöden. Auch dabei bist du Handelnde. Unter den Gefan­genen wirst du einen bestimmten Platz einnehmen, der nicht von der Zellennummer und Station, von der Länge der bestraften Zeit abhängig ist, sondern auch davon, wer du bist. Zuerstmal wirst du in die Rangord­nung unter den Gefangenen reingeschoben.

Rangordnungen

Besteht die Hierarchie unter den Gefangenen darin, wer das größte Mundwerk hat? Oder darin, wer sich am besten durchsetzen kann gegenüber den Beamtinnen? Oder darin, wer am meisten Ansehen hat, durch irgendwelche Merkmale wie Schönheit, Klugheit, Reichtum oder ihr Delikt? Daß eine Hierarchie besteht, ist offensichtlich. Aber sie ist nicht sehr streng, verändert sich von Gelegenheit zu Gelegenheit und von Zeit zu Zeit. Es gibt immer einige Gefangene, die ein Riesenmund­werk haben und eine ganze Station in Schach halten. Sie werden respektiert, gefürchtet, bewundert. Denn es sind meistens auch die, die sich sonst nichts gefallen lassen.

Sie haben zwar grundsätzlich nichts gegen den Knast - Knast, das ist eben Schicksal - aber sie machen ununterbro­chen "Palaver", und die Schließerinnen gehen sehr vorsichtig mit ihnen um, eben um kein Palaver zu haben. Will so eine Gefangene etwas und setzt sie merklich zu einem größeren Geschrei an, wird die Schließerin alles tun, um die Sache gedämpft abzuwickeln. Gibts Geschrei, dann heißt es von der Zentrale: was für ein Geschrei ist auf Ihrer Station?! Bringen Sie's nicht fertig, die Sache zu klären, muß es gleich wieder offizielle Ausmaße annehmen! Deshalb: soviel Geschrei wie möglich, aber möglichst keine Streitereien untereinander, die offizielles Ausmaß annehmen. Meistens ist es nämlich so, daß die Schreihälse auch jeden Konflikt lauthals und über die Schließerinnen austragen. Dabei werden dann Dinge gesagt, die besser nicht gesagt werden sollten, weil sie immer Tratsch und Verrat gleichkommen. Was untereinander an Streit auf­kommt, das kann ganz gut auch untereinander geklärt werden, ohne gleich die "Mami" bzw. die "Polizei" zu Hilfe zu holen. Unter den Frauen die wegen BTM (Betäubungsmittelgesetz) im Knast sitzen und die sich oft untereinander kennen, weil sie aus einer "Scene" sind, haben meistens diejenigen am meisten Ansehen, die die größtenHändler waren oder am längsten in der Scene aufgetreten sind. Die Rangordnung von draußen wird im Knast fortgeführt.

So ist es am Anfang. Draußen treten die Frauen aber zusammen mit ihren Freunden auf, als Pärchen, als Geschäftspartner. Im Knast müssen sie sich alleine behaupten, und je mehr alle sich kennenlernen und gemeinsam Erfah­rungen im Knast machen, desto mehr verliert sich das alte Schema von mehr oder weniger Ansehen, Einfluß. Man fängt an, sich als Menschen zu sehen, als Frauen. Wenn du in den Knast kommst, orientier dich in keinem Fall an den "Rangordnungen", wie sie grade bestehen. Sondern versuch alles mit deinen eigenen Augen zu sehen und deine eigenen Auseinandersetzungen zu haben. Vielleicht ist es so, daß du die freie Frechheit der Großmäuler tatsächlich respektieren lernst, aber das ist dann deine eigene Erfahrung.

Stationsleben - Cliquen und schwarze Schafe

Auf jeder Station gibt es Cliquen. Einerseits ganz gut, ein paar Leute, die fest zusammenhalten, gegenseitig nichts auf sich kommen lassen, sich zusammen durchsetzen. Die andere Seite ist die Cliquenwirtschaft. Die eine Clique bekämpft die andre, reden nicht miteinander, haben fast instinktmäßig was gegen die Frauen von der ändern Clique. Und es tauchen seltsame Gefühle und Verhaltensweisen auf, die eigentlich im Verhalten jeder Gruppe charakteristisch sind: ein Opfer wird gefunden und bekriegt. Eine Gefangene bekommt die Rolle des Sündenbocks. Geht irgendetwas schief, oder ist Streit, dann ist immer sie die Schuldige. Und alle entwickeln dieselben Gefühle ihr gegenüber. Es reißt richtig mit, wenn sich so was mal hergestellt hat. Du kannst die Frau dann nicht mehr unvoreingenommen sehen, du wirst immer Schlechtes von ihr vermuten, noch bevor sie den Mund aufgemacht hat. Und sie wird dann ihre ausgestoßene Rolle auch spielen, wird an die Schließerinnen weiter­tratschen und allen auf der Station was reinwürgen wollen. Es ist sehr schwer, sich dem zu entziehen. Manchmal klärt sich sowas, wenn sich die ganze Station zusammensetzt und darüber redet. Und wenn der Sünden­bock auch was dazu zu sagen hat.

Gruppenabende

Die meisten "Gruppenabende", an denen sich eine ganze Station zusam­mensetzt, laufen in Form von Kaffeeklatsch ab. Die Sozialarbeiterin hört sich brav die Beschwerden der Gefangenen an, und es sind eben Dinge,an denen "ist nichts zu machen", erstens weil sie wenig Einfluß hat, zweitens weil sich die meisten dieser Fürsorger nicht die Finger verbren­nen wollen, sondern ihre guten Dienste in der Beruhigung beider Seiten sehen, die Gefangenen zu beschwichtigen oder das Unumgänglichste zu tun, um mit der Anstaltsleitung nicht zusammenzurasseln und eine brave Station vorweisen zu können. Die einzige Möglichkeit, diese sogenannten Gruppenabende gespräche ein bißchen interessanter zu machen, ist, sie allein zu machen, eben nicht unbedingt freitags-oder donnerstags­weise, sondern dann wenn eine Sache da ist, die alle etwas angeht.

Wenn eine ganze Station zusammen etwas plant und unternimmt, das bedeutet schon sehr viel für alle. Aber was ist im Knast schon zu unternehmen? Nicht viel, das stimmt, aber schon das Wenige lohnt sich, trotz aller zermürbenden Rückschläge. Schon eine halbe Stunde länger Hofgang lohnt sich, eine halbe Stunde länger idiotisches Laufen im Kreis. Eine Schließerin von der Station zu vertreiben, die link ist.

Frauen und schuldige Frauen

Draußen sitzt jede in ihrer eigenen Umgebung, in ihrer eignen Woh­nung, mit ihrem eignen Hausrat, mit ihrem eignen Mann. So eigen, daß es manchmal schon tödlich langweilig ist. Das alles zu verlieren ist trotzdem schwer. Und schwer auch, umzulernen in einer neuen Situa­tion, zusammen in derselben Lage mit ändern Frauen. Aus den Heimen kennen das viele, oder Kindheit, Jugendfreundinnen. Viel Vergessenes kommt wieder hoch.

Aber dieses Abgrenzen gegen andre. Fremde sitzt sehr tief. Die Dope (Drogen)-Leute gegen die ändern, die ändern gegen die Dope-Leute, die Alten gegen die Jungen, die Betrügerinnen gegen die "Primitiven", wie sie sagen. Von den Dope-Leuten sagen die ändern, das sind ja Verrückte, machen dauernd Geschrei, haben nichts im Kopf als Dope und Negermusik. Von den ändern sagen die Dope—Leute, das sind langweilige Spießer, haben Mann und Kinder und weiter nichts, wollen den ganzen Tag vor dem Fernsehkasten hocken und machen keinen Piep. Erst wenn wir aufhören, uns gleich unter so einem Schema zu betrachten, stellt sich ein anderes Bild her. Daß'der Mensch so ist und der so.

Eine Frau sitzt im Knast wegen Kindestötung. Sie hat alle gegen sich, sich selber eingeschlossen. Nach außen hin sagt sie vielleicht, daß alles garnicht wahr ist oder daß sie nichts dafür kann. Aber wenn sie allein ist, steckt sie voller Selbstvorwürfe und Schuldgefühle. Und alle Gefange­nen, denen sie begegnet, werden dasselbe sagen: daß das eine Schweinerei ist, was sie getan hat und überhaupt das Letzte. Grade die Frauen sind darin besonders streng. Auch die. die ihr eigenes Kind ihr Leben lang nicht gesehn haben, die das Kind ins Heim gegeben haben oder an Pflegeeltern. Auch die. die ihre Kinder jeden Tag geprügelt haben und alle Sorgen und Bitterkeit an ihnen ausgelassen haben.

Eigentlich müßte das Verständnis sehr naheliegen. Die meisten Gefangenen haben Kinder und sie kennen die Gefühle, die liebevollen und eben auch die gehässi­gen, wenn alles schiefgeht und es keine Aussichten gibt und dann hängt einem dieses Kind wie ein Klotz am Bein. Aber grade, daß die meisten Frauen dieses Gefühl kennen, das macht sie so streng gegenüber einer Frau, die außer sich geraten ist. Grade die Schuldgefühle dem eigenen Kind gegenüber lassen die ändern Frauen Schuld auf diese eine Frau werfen. Es war aber für einen selber wichtig, das nicht alles abzuschieben auf die eine, sondern sich seiner eigenen Gefühle bewußt zu werden, um dadurch besser mit ihnen umgehn zu können. Versuch dir vorzustellen, wie du selber in Situationen warst, wo du ein Gefühl in dir hattest, daß du jemand hättest umbringen können.

Der "weibliche" Tauschhandel

Was im Männerknast sehr stark die Beziehungen untereinander bestimmt, ist der Tauschhandel. Im Frauenknast läuft er zwar auch dauernd, aber nebenbei. Er hat vkweicherekk Formen. Es gibt keine festen Preise, sondern man tauscht was man braucht. Du bekommst oft etwas umsonst, vor allem unter denen die sich länger kennen. Von Station zu Station sind auch andere Bräuche, zum Teil dadurch, daß es einfach "arme" Stationen gibt, zum Beispiel die Kurzstrafen, zum Teil aber auch je nach der Art wie eine Station zusammenhält.

Oft braucht nur jemand den Anfang machen, auch mal was zu verschenken an eine die nichts hat - und mit der Zeit ändert sich das kleinliche Klima, wo jede das zusammenrafft und versteckt was sie hat. Sicher ist es so, daß die am großzügigsten sein können, die das meiste haben, die werden dann auch sehr höflich und schmeichelhaft behandelt, mit denen will's niemand verderben, denn die braucht man vielleicht noch. Und ob sie was hergeben und an der Art, wie sie was hergeben, wirst du sie kennenler­nen. Der Tauschhandel ist eben nicht ein Selbstbedienungsladen, wo an der Kasse gezahlt wird, sondern da stecken die Menschen bis über den Kopf weg drin. Das Schenken und das Tauschen und Zurückfordern ist in dem Moment dieser Mensch, und die ganze Beziehung zwischen zwei solchen Handelspartnern drückt sich drin aus. Niemand soll sich einbil­den, das sei ihr Verdienst und ihr Recht, den größten Einkauf zu haben.

Das hängt einfach davon ab, welche Beziehungen sie hat nach draußen oder welche Arbeit sie als Strafgefangene zugewiesen bekommen hat. Es sollte fast sowas wie eine Verpflichtung sein, den ändern was abzugeben.

Die Liebe

Manchmal sind zwei Frauen im Knast, kennen sich vielleicht schon längere Zeit. Aber eines Tages, ich weiß nicht wodurch, sehen sie sich aufeinmal. Sie verlieben sich ineinander und ein anderes Leben beginnt. So als würde miteinmal in einem Winkel von diesem grauen Gemäuer etwas anfangen zu blühen, die Gitter und die Eisentüren sind nur noch Kulisse. Der Tag ist nicht mehr eingeteilt durch die verschiedenen Klingelzeichen zum Wecken, Duschen, Arbeiten, Hofgang, sondern dadurch, wieviel Zeit dazwischen liegt, bis sie sich wieder sehen können. Die Zeit wird kostbar. Jede Minute, die sie Zusammensein können, ist eine Woche Knast wert. Die beiden gehen in dieselben Freizeitgruppen, gehen am Sonntag in die Kirche. Versuchen, auf denselben Arbeitsplatz zu kommen.

Wenn sie auf verschiedenen Stationen liegen, müssen sie über die Gitter klettern, um zusammenzukommen, oder darauf lauern bis eine Schließerin mal das Stationsgitter nicht hinter ihnen abschließt. So wie früher die Liebhaber heimlich ihre Liebsten besucht haben, so treffen sie sich. Die Liebe hat im Knast etwas Atemloses und Gewaltiges, alle Gefühle ballen sich zu einem einzigen, ohne durch irgendetwas abgelenkt zu sein, durch die verschiedenen Leben, die man draußen so führt. Auch die Eifersucht ballt sich. Es kommt öfter vor, daß sich eine Frau den Arm aufschneidet aus so einem Grund. Damit sowas möglichst garnicht eintritt, schließen sich die beiden ganz eng zusammen, abge­schottet gegen alle ändern. Trotzdem taucht natürlich oft die Eifersucht auf, gerade deswegen, weil überhaupt keine Auseinandersetzung mit den ändern Gefangenen mehr möglich ist. Weil die beiden sich ineinander verkrallen, sich schützen wollen gegen das Gerede der ändern, gegen den Knast. Sie wollen sich eine Insel schaffen, wo sie nichts mehr berührt.

Für die ändern ist das oft sehr enttäuschend. Früher konnte man zusam­men reden und aufeinander zählen, und mit einemmal ist es so, als würden die beiden, die nur noch als Paar auftreten, überhaupt nicht mehr existieren. Das ist so wie draußen, wenn deine Freundin einen Mann kennenlernt, dann ist sie erstmal für einige Zeit abwesend. Sehr vieles ist so wie draußen. Altbekannte Rollen werden einfach übernommen, weil wir unser Leben lang dran gewöhnt sind, alles Neue braucht soviel Kraft und Phantasie.

Die Abhängigkeit von Männern

Wenn unter den extremen Bedingungen des Knasts eine Frau spürt, daß sie Gefühle für andere Frauen entwickelt, gerät sie unter Umständen in wilde Panik - wenn sie diese Erfahrung vorher noch nicht gemacht hat. Eine ganz normale verheiratete Frau würde draußen diese Erfahrung gar nicht mit sich selber machen - während andere, die vielleicht eh mit der Ehe nichts am Hut haben, auch draußen diese Erfahrung sehr wohl machen können. Was also durch die Situation des Knasts bedingt ist, ist andererseits nichts "Unnormales". Dieselben Erfahrungen, die die Frauen im Knast mit sich machen, könnten sie und andere Frauen auch außerhalb des Knasts machen - wenn sie wollten. Aber die meisten von ihnen kommen gar nicht auf den Gedanken. Es kann eine Chance sein, auf diese Weise - durch die erzwungene Abwesenheit von Männern - über die eigene Sexualität etwas zu erfahren.

Zum Beispiel wird einem klar, wie abhängig man vorher von einem bestimmten Mann gewesen ist. Einem Mann gegenüber hast du deine Abhängigkeit immer akzeptiert - gegenüber einer Frau würdest du das vielleicht nicht, denn du siehst sie auf der gleichen Stufe mit dir. Deine Beziehungen zu Männern sind weit weg im Knast. Du hast das Gefühl, daß du erstmal ganz allein bist und damit für dich selbst verantwortlich. Du bist nicht mehr so abhängig wie früher. Es bringt dir auch nichts, abhängig zu sein. Das Gefühl allein zu sein kann also auch ein gutes Gefühl bedeuten. Du fängst an, über dich nachzudenken und ganz allein dich zu sehen, wer du bist, was du eigentlich willst, als einmalige Person. Und das ist eigentlich doch eine gute Erfahrung.

Du denkst mehr über dich nach, und du denkst anders als früher über dich. Allerdings kann dir dieselbe Abhängigkeit, die du gegenüber einem Mann hattest, auch gegenüber einer anderen Frau entstehen. Das ist die Gefahr einer solchen Beziehung: daß sich in ihr wiederholt, was deine Beziehung zu Männern ausgemacht hat. Die meisten Frauen bemerken ihre Abhängigkeit von Männern sowenig, weil sie sie für völlig normal halten und weil sie um sich herum gar nichts anderes sehen. In der Beziehung zu einer Frau ist das nicht so, weil diese Beziehung nicht akzeptiert ist. Sie hat noch keine solchen allgemein akzeptierten, festgelegten Rollen wie die Beziehung zwischen Mann und Frau. Es ist also darin alles möglich, nicht nur die gewöhnliche Abhängigkeit.

Ich finde es schade, wenn manche Frauen in einer solchen Beziehung glauben, sie müßten die aggressive Rolle des Mannes nachahmen, und wenn sich die andere Frau darauf einläßt. Im Grunde ist das aber nicht notwendig, es könnte durchaus auch anders sein, wenn man über die eigene Rolle etwas besser nachdenken würde.Frauen können viel offener zeigen als Männer, daß sie eine sexuelle Beziehung zueinander haben wollen. Bei Männern gilt das als Schwäche, und sehr wenige können sich dazu überwinden. Frauen gelingt das leichter, weil sie nicht so auf eine Pseudo-"Stärke" festgelegt sind. Es sind weniger Sperren, die sie davon abhalten. Deshalb können sie über ihre Beziehungen auch viel offener reden, weil dazu sehr viel "Schwä­che" gehört, die man es sich leisten kann zu zeigen, ohne gleich das Gefühl zu haben, alles ist verloren.

Die alten Rollen

Es sind die von Mann und Frau. Die eine Frau spielt also den Mann und die andere die Ehe-, Haus- und so weiter-Frau. Mit allen lächerlichen Verzierungen. Der Mann ruft seine Frau "Mausi" und tätschelt ihr den Po. Die Mausi kocht den Kaffee und serviert ihn in der Zelle. Der Mann geht auch "fremd" und spielt den großen Charmeur in der Mittagspause zwischen der Pappkartonarbeit. Der Mann ist schrecklich eifersüchtig, die Mausi auch.

Nicht daß aus dieser Nachäfferei die ganze Beziehung bestünde. Je länger sich zwei Frauen kennen, desto tiefer ist meistens die Beziehung. Aber nach außen hin, den ändern Gefangenen gegenüber, gehen sie so miteinander um als gäbs keine andre Möglichkeit, das irgendwie auszu­drücken, daß sie was miteinander zu tun haben.

Aber das Äußerliche bleibt eben nicht einfach das Äußere. Das was an Gefühlen und Beziehungen entstehen könnte, wird gleich abgemurkst, indem eine über die andere zu herrschen versucht. Im schlimmsten Fall nutzt man sich gegenseitig aus. Freundschaften werden geschlossen, solange eine jede Woche Einkauf hat. Aber das ist der Knast. Alles ist knapp wie in Kriegszeiten, und je mehr Gefühle eine Gefangene für die andre hat, desto mehr wird sie ihr auch geben wollen. Da bricht dann manchmal die Gier durch und der Kaffee und die Liebe sind nicht mehr unterschieden.

Die Reaktionen der anderen

Die Liebe unter Frauen:

Von allen (den meisten) verspöttelt und herbeigesehnt. Die ganz großen Schreier sagen: "Ihr schwulen Säue".Aber auch für sie ist es so; Männer sind keine da. Unsre ganze Erziehung, die uns beigebracht hat, alle Gefühle auf den Mann zu richten und auf nichts sonst, bekommt einen Knacks. Manche Frauen glauben, der Knacks sei in ihnen selber. Sie merken, daß sie ihre Gefühle ebensogut auf eine Frau richten können, und es macht Angst, weil es ungewohnt ist. "Ob ich, wenn ich draußen bin, jemals wieder mir einem Mann schlafen kann?" oder "Ich fühl mich so als sei ich "am andern Ufer" und würde nie mehr zurückfinden". Alle Vorstellungen und Gewohnheiten, die eine Frau draußen hatte, gehen zu Bruch. Wir haben nicht gelernt. Liebe zwischen Frauen für ebenso möglich und natürlich zu erleben wie die Liebe zwischen Mann und Frau. Wir hören Geschichten aus vergangenen Zeiten, wo es Kulturen gegeben haben soll, wo das ganz natürlich war. Aber das ist ein sehr fernes und verschwommenes Bild.

Wir sehen erklärte Lcsben mit Männerhaarschnitt. Männerhosen und Rockermanieren. Alle lachen über diese gewaltsamen Versuche, sich vom "Weibchen" zu befreien, also lachen wir auch. Was man uns beigebracht hat, Röcke zu tragen, den Mund zu halten und dem Mann ein Schmuckstück zu sein, das ist vielleicht nicht der Traum des Lebens, aber es ist das Übliche und scheinbar einzig Mögliche und fängt manche Sehnsüchte ein. Nur im Knast nicht. Hier war es möglich, alte Vorurteile loszuwerden und genauer auf seine Gefühle zu horchen. Ohne sich beirren zu lassen von denen, die verächtlich über "Lesbenpack" schreien. Auch die schreien nur. Das auffallendste an ihnen ist, daß gerade sie sich am meisten sehnen und auf der Suche sind nach einer Frau. Irgendwann hören sie dann auch auf zu schreien.


[  zurück  ]



Gefangene - Schließerinnen

Was wir über die weiblichen Gefängnisaufseher sagen können, ist das, was einzelne von uns im Lauf der Zeit beobachtet und erlebt haben. Jede Gefangene braucht eine Menge Zeit, um sich in dem komplizierten - und so einfach starren - System von Zuständigkeiten, Abhängigkeiten und Beziehungen innerhalb der Knastverwaltung zurechtzufinden. Und jede erlebt das anders, und wird anders damit umgehn.

Wir geben hier unsre Erfahrungen und Einschätzungen weiter, das ist alles. Eingeliefert wurde ich um Mitternacht rum. Der Transportbus hielt im Hof, an der Eingangstür stand eine jüngere Schließerin. "Das ist für heute die letzte Ladung", meinten die Transportbeamten, "na hoffentlich", die Schließerin. Dieser Knast war also kein Laden, in dem ein- und ausgehende Ware mit Vergnügen betrachtet wird. Was ich in den nächsten Tagen spüren und hören konnte, war von derselben Art. Der schroffe, befehlshaberische Ton klang zwar danach, als würde hier mit sehr viel Entschlossenheit kommandiert werden, aber nicht grad mit viel Überzeugung.

Woher sie kommen

Woher diese Gefängniswärterinnen kommen, welche Berufe sie vorher hatten, wie sie leben — darüber haben wir in allgemeinen soziologischen Untersuchungen nichts gefunden. Wie überall, sind auch hier die Frauen anscheinend vergessen worden. Es gibt eine Menge Literatur über männliche Schließer. Die meisten waren früher Handwerker, einige Angestellte, einige Berufssoldaten. Unter den Wärterinnen, die wir kennen, haben wir gefunden: Angestellte im öffentlichen Dienst. Frauen deren Ehemänner schon Gefängniswärter waren, ältere Hausfrauen, die ihre Kinder großgezogen und danach eine Beschäftigung ohne Berufs­ausbildung gesucht haben, Verkäuferinnen, Von der Klassenlage her, aus der sie stammen, sind sie von den Gefangenen nicht grundsätzlich verschieden.

Ihre Familienverhältnisse sind vielleicht oft stabiler. In Frankfurt wohnen viele Aufseherinnen in der städtischen Siedlung direkt neben dem Gefängnis. Sozialer Wohnungsbau, Betonklötze mit Stück Rasen. Auch einige Gefangene haben dort gewohnt. Das erklärt viel­leicht etwas die überzeugte Strenge und Verständnislosigkeit, mit der viele Beamtinnen die Gefangenen behandeln. Von ihrer Klassenlage her hätte es ihnen durchaus passieren können, in der Rolle als Gefangene vorzukommen. Mit umso größerer Abwehr begegnen sie deshalb denen, die "das Böse" verkörpern.

Andere zu bestrafen dient ihnen als Sicherung gegen ihre eignen, bewussten oder unbewussten, Wünsche. Wenn du die Schließerinnen fragst, warum sie gerade diesen Job machen , hörst du: "ich möchte lieber mit Menschen zu tun haben, naja vorgestellt hab ich mirs anders, aber es ist besser als in einem Büro zu sitzen" - "ich möchte am liebsten weg hier, aber ich brauch noch sechs Jahre um meine Pension zu bekommen, das halt ich auch noch durch" - "ich glaube daß ich hier eine Aufgabe habe, ändern Menschen zu helfen. . .". Das sagen die Schließerinnen, mit denen du überhaupt über sowas reden kannst. Dazu ist noch zu sagen, daß sie alle aus dem Reformknast Preungesheim stammen, und es war dort lange Zeit üblich, nur solche Leute einzustel­len, die ein "soziales Motiv" hatten. Und so haben sich die Anwärterin­nen geradezu darin überboten, ihren betreuerischen Eifer darzustellen. Diese Tradition wirkt noch einige Zeit fort.

Gefängniswärterin, ein Beruf

Die Gefängniswärterinnen stehen im Angestellten- oder Beamtenver­hältnis. Meistens sagt das auch etwas über das Maß ihrer Identifizierung mit dem Knast. Manche rücken im Lauf ihrer Tätigkeit zu Beamtinnen auf. Sie verschwinden für einige Zeit zu sog. Beamtenlehrgängen und wenn sie zurückkommen, sind sie einige Grad forscher, selbstbewußter und kleinlicher. Die Ausbildung der Angestellten besteht aus einem Schnellkursus. Um darüberhinaus zu Beamtinnen zu werden, machen sie nach einer Einfüh­rungszeit eine "theoriebezogene praktische Ausbildung in besonderen Anstalten", das heißt, sie werden in verschiedenen Anstalten herumge­schickt um die unterschiedlichen "Vollzugsarten" kennenzulernen. Dann kommt ein Abschlußlehrgang von 4 Monaten.

Er besteht zu 60(f aus Rechts- und Verwaltungskunde und 25-r praktisch-psychologischen Allgemeinheiten. Von der Anzahl der Stunden stehen in Rheinland--Pfalz z.B. Frühsport, Vollzugskunde und Rechtskunde an oberster Stelle, übrigens sind laut Umfrage die Hälfte der Beamten, vor allem die jüngeren, mit ihrer Ausbildung unzufrieden.

Die Knasthierarchie sieht folgendermaßen aus: den Grundstein bilden die Gestalten, die sich Angestellte, Beamtenanwärter und Beamtinnen nennen, auch Aufseher, Schließer genannt. Besonderes Kennzeichen ist ihr stereotyper Antwortbeantworter: "die Vollzugsordnung/Vorschrift Anordnung von oben" je nachdem, aber die sitzt fest verankert in ihrem Kleinhirn oder Kitteltasche. Der "Unbelehrbare" wird sofort belehrt. Nun kommt eine Spezialgruppe: die Oberaufseher. Dazu gehören die Bereichsbeamten (sie überwachen also buchstäblich ihre eigenen Artge­nossen, trauen sich gegenseitig nicht) und die Zentralbeamten. Die dies alles noch einmal beaufsichtigen, sind die Aufsichtsdienstleiter. Die beiden letzten in diesem Gefüge sind bei weitem die unberechenbarsten, das liegt allein schon an ihrer so wichtigen Position, nämlich sich sozusa­gen selber zu beaufsichtigen, eine Aufgabe, die meistens schwere psychi­sche Begleiterscheinungen zur Folge hat, von plötzlichen Wutanfällen, idiotischen Anordnungen bis zu infantilem Charakter. Die Spitze dieser Knastpyramide ist die Anstaltsleitung mitsamt ihren Stellvertretern.

Zur Vervollständigung muß noch erwähnt werden, daß in dieser Rangord­nung auch Werksbeamte und Verwaltungbeamte ihre Hände mit im Spiel haben. Sie mischen sich aber in den anstaltsinternen Kram weniger ein. Die Gefangene, die etwas erreichen will, allein oder zusammen mit ändern, wird sich, so oder so, an dieser Hierarchie orientieren. Der normale Weg ist der von unten nach oben, angefangen bei der Stations­beamtin, dann Zentrale, dann Aufsichtdienst und als letzte die Anstalts­leitung, wobei die nur mittels Rapportschein zu erreichen ist. Da das der eigentlich übliche Weg ist, ist auch die Wartezeit, die Zeit in der die Gefangene Antwort erhält oder persönlich "vorgeführt" wird, entspre­chend lang. Darum lohnt es sich in manchen Fällen, den umgekehrten

Weg einzuschlagen, also direktes Vorrücken ins Büro der Anstaltslei­tung. Normalerweise wird man in dieses Königreich nur in Begleitung einer Beamtin vorgelassen, aber es geht auch anders. Hier ein Beispiel: die Gefangene stellt sich bei der Essensausgabe vor die verschlossene Verwaltungstür, macht das unschuldigste Gesicht der Welt und bittet ganz brav und artig eine der an ihr vorbeihastenden Stationsbeamtinnen, sie durchzuschließen, weil Frau Soundso in der Verwaltung sie dringend sprechen will, z.B. die Kasse, dort gibt es immer irgendwelche unvorher­gesehenen Schwierigkeiten durch falsch verbuchte Geldüberweisungen. Klappt die Sache nicht, bleibt man weiterhin auf dem Posten und wartet auf eine Sozialhelferin, die eigentlich ununterbrochen durch diese Tür ein- und ausgehen, auf- und zuschließen, also hier hat man vielleicht Glück. Ist man endlich im Verwaltungsgebäude, dann nichts wie rein ins Büro der Anstaltsleitung, loslegen, sich nicht abwimmeln lassen. Ob es dann hier zu einem Ergebnis kommt, ist ungewiß, es gibt ja auch noch höhere Stellen, oder die Angelegenheit muß erst geprüft werden, oder... Aber man weiß dann vielleicht, was zu erwarten ist.

Frauenknast

Das ist so das Typische im Knast: ein zäher Trott nach Vorschrift. Und das bestimmt auch im Normalfall das Verhältnis zwischen Schließerinnen und Gefangenen. Es ist ein Zwangsverhältnis und in keiner Weise frei. In den Frauenknästen ist soviel Tünche drübergeschmiert, daß das in manchen Momenten kaum zu erkennen ist. Ich glaube nicht, daß das nur an der reformierten Gewalt liegt, nur daran, daß die Gefangenen nicht mehr im Militärdrill durch den Knast gejagt werden. Sondern es hat sicher etwas damit zu tun, daß die Gefangenen Frauen sind und die Bewacher auch. Sie haben eine Erfahrung gemeinsam: eine Frau zu sein und damit für weniger wert geschätzt zu werden als der andre Teil der Menschheit. Manchmal taucht diese Gemeinsamkeit im guten Sinn auf. Eine Gefangene wird in den Männerknast gebracht um ihren Mann zu besuchen, ein oder zwei Schließerinnen als Begleitung. Beim Besuch sitzt die Schließerin und ein Wärter aus dem Männerknast zur Überwachung. Dabei kommt oft sowas hoch: sich nichts gefallen lassen von dem Wärter, der so tut als habe er hier das große Kommando. Und aufständi­sche Bemerkungen zu der Gefangenen. Verunsichert hält sich die Schließerin an die gefangene Frau. Manchmal gehn sie lachend und spöttelnd raus.

Aber meistens taucht die Weiblichkeit andersherum auf. Schon in der Hausordnung kannst du's lesen: "Dies ist ein Haus für Frauen. Das sollte man jedem Raum anmerken. Halten sie Ihre Zelle nicht nur sauber, sondern schmücken sie sie. . ." Nicht nur Gefangene bist du, sondern auch in diese artige Rolle von Frau sollst du reinkriechen. Die Schließerinnen spielen dabei die Mütter dieser heranwachsenden jungen Mäd­chen. Wenn das Kind brav ist, wird es belohnt, wenn es böse ist, bestraft. Und du kannst eine 25jährige Schließerin sehn, wie sie eine 50jährige Gefangene mit "husch husch" und "na na" vom Flur scheucht als wärs ein kleines Sabbelkind. Die Stationsbeamtinnen sprechen von "ihren" Frauen von der Station. Und wenn du dich weigerst, dich bei der Durchsuchung nackt auszuziehn, hörst du: "Aber wir sind doch alles Frauen ..."

Nicht alle Gefängniswärterinnen setzen ihre Frauenrolle so bewußt ein, daß sie, ganz vertraulich, zu dir "von Frau zu Frau" sprechen und an deine weibliche Vernunft und Einsicht appellieren. Die naivsten und gutmütigsten werden dich mit ihrer Mütterlichkeit beruhigen und trö­sten, aber sie werden dir auch deinen Zorn vergessen machen und deinen berechtigten Protest ersticken.

Die weiblichen Vollzugsbediensteten

Uniformiert. Dunkelblaue Hose über dickem Arsch, dunkelblaues Jak-kett. Sie läuft im Stechschritt vor dir her, der Schlüsselbund am Riemen schlägt im Takt. Kommandeuse ohne Lederstiefel. Mit allen Hilfsmitteln die sie hat, verbreitet sie gewalttätig-perverse Luft. Sie weicht keinen Zentimeter zurück, aber wenn du ihr genau in die Augen siehst, flackert ein winziges Lichtchen an Unsicherheit, manchmal Angst. Ihre Kollegin tippelt im hellblauen Schürzelkittel durch den Knast und wirft ängstliche Blicke um sich, meistens nach oben, zur Zentrale hin.

Sie wird mit flehendem Gesicht die Tür zum Gruppenraum aufmachen: „Kinder, jetzt geht doch bitte endlich in eure Zellen, sonst krieg ich Ärger. Das seht ihr doch ein, oder nicht? Wenn ich könnte, wie ich wollte. . . aber es geht doch nicht!'1 Sie ist nicht eine dieser Schleimscheißerinnen, die dir ins Gesicht lächeln und dich hinter deinem Rücken an die Zentrale verpfeifen. - Die gibt es auch, massenhaft. - Aber die von der ich jetzt spreche, meint es durchaus ernst. Sie möchte, aber sie kann nicht. Denn sie ist Schließerin. Sie hat einen Arbeitgeber, das ist die Justiz, und sie hat eine Aufgabe: das inhaftierte Menschenmaterial nach bestem Wissen und Gewissen und nach genau umrissener und beeideter Anordnung zu verwalten. Das haben sie notwendig alle gemeinsam.

Diejenige, die freundlich ist und verständig und dich im nächsten Augenblick anschreit, als wäre sie am Durchdrehn. Und die, die nie ihre Fassung verlieren wirdund alle Raffinessen einsetzt, um dich zu irgendwas zu überreden, zu überzeugen, anzuflehen, zu drohen. Und auch die, die nie genau weiß, was sie eigentlich tun soll oder darf, die sich immer auf die noch höheren Stellen beruft, und die meistens magenkrank ist, eine sehr verbreitete Krankheit unter dem Gefängnispersonal. Das ist jedenfalls etwas, was du nie aus den Augen lassen darfst: du bist Gefangene, sie sind Aufseherin­nen und haben die Macht über dich. Lächerlich, das so zu sagen, das ist die klarste Sache im Knast. Aber überhaupt nicht lächerlich, wenn du dich oder andre dabei beobachtest, wie tief sie sich versenken in ihre Rolle als Machtlose gegenüber der Macht. Da wird gebettelt und gefleht, geheult, gekrochen, verraten.

Aber das ist das Wichtigste: daß du, als Gefangene, niemals deine Würde verlierst. Du kannst ihnen alles mögliche an Theater vorspielen, sie austricksen und belügen, aber du darfst niemals ihr Spiel so perfekt mitspielen, daß du dich dabei vergißt, daß du zu der Rolle wirst, die du eigentlich nur gespielt hast. Der Knast ist ein Apparat, der dich nieder­drücken soll, der dir in allem beweisen soll, daß du falsch bist, die falschen Sachen gemacht hast, die falschen Gefühle hast, die falsche Erziehung hast, daß du nichts wert bist. Aber du darfst dich nicht niederdrücken lassen, weil du dann umkommst. Die Schließerinnen sind die untersten Verwalter dieses Gefängnissy­stems.

Du bist tagtäglich mit ihnen in Berührung. Sie sind Menschen, widerliche, langweilige und manchmal liebenswerte. Die letzteren halten meistens nicht allzulang in ihrem Job durch. Entweder gehen sie nach der Probezeit freiwillig, weil sie's nicht ertragen als Aufseher und gleichzeitig Menschen, oder sie fliegen, weil sie sich zu gut mit den Gefangenen verstehen. Sogenannte private Kontakte sind strengstens verboten. Lie­besbeziehungen - sowas gibt es auch - sind mehr als verboten. Schließe­rinnen sollen nicht vorrangig Menschen sein, sondern eben Justizbeamte. Ausserdem sind sie auch Frauen. Das dürfen sie zu strafvollzugsdienli­chen Zwecken durchaus sein. Das amtliche Vollzugsbedienstetenideal liegt vermutlich bei: resolut mit mütterlichem Image.

Konflikte

In immer derselben Situation hab ich erlebt, wie diese ausgenutzte Mütterlichkeit und frauliche Gemeinsamkeit an ihren richtigen Platz gerückt ist, nämlich in die Ferne. Das ist, wenn sich eine ganze Station weigert, in die Zellen zu gehn, bevor nicht eine bestimmte Forderung erfüllt ist. Alle ändern Gefangenen werden noch schnell in die Zellen eingeschlossen und die ganze Heerschar der Schließerinnen taucht auf der "Krisenstation" auf. Fast halten sie sich an ihrem Schlüsselbund fest. Die Mutigen kommen in die Nähe, die Aufgeschreckten und auch die, die insgeheim den Gefangenen Beifall klatschen, bleiben in ein paar Meter Entfernung und staunen.

Es ist nichts weiter passiert, als daß da eine Gruppe von Frauen sitzt und Nein sagt. Aber es ist geradeso als wäre ein stiller Alarmknopf in den Köpfen der Beamten losgegangen. Während die höheren und noch höheren Stellen benachrichtigt werden, stehen die Schließerinnen mit großen oder bösen Augen herum und schweigen. Man sieht sie denken. Sie schauen die Gefangenen an, zählen ab, notieren die Namen. Kaum ein Überredungsversuch, denn jetzt ist alles hochoffiziell. Es gibt nur noch Aufseherinnen und Gefangene.

Beobachten, einschätzen

Wenn du in den Knast kommst und nicht in Isolation, sondern in den sog. Normalvollzug, bekommst du sehr bald Informationen, wie du an die und jene Sache herankommst. Wo du eher was erreichst, wo du's garnicht versuchen brauchst. Du hörst alle möglichen Geschichten über die Schließerinnen, daß die eine säuft, die andre lesbisch ist, die dritte die dunkle Brille deshalb trägt, weil ihr eine Gefangene mal ein Auge ausgeschlagen hat. Du hörst auch sehr unterschiedliche Meinungen: "Mit der X kann man reden" — "Mit der X kann man allerdings reden. Sie ist dafür von der Anstaltsleitung sehr geschätzt, denn sie tratscht alles weiter was sie hört."

Es gibt nur sehr wenige Beamtinnen, über die es keine Diskussionen gibt, weil sie schon von weitem erkennbar sind und gera­dezu nach Knast riechen. Alle ändern schillern in allen möglichen Farbtönen. Übereinstimmung unter den Gefangenen herrscht vielleicht über die Grundfarbe. Nicht nur deswegen weil die Gefangenen sie so unterschiedlich sehn, sondern auch, weil die Schließerinnen oft tatsäch­lich schillernde Figuren sind.

Naivität und Hinterhältigkeit sind manchmal so verblüffend gemischt, daß du dich als Gefangene am besten in gebührendem Abstand hältst. Beauftragt mit dem Ausüben von Gewalt und Zwang, haben sie unmit­telbar mit den gefangenen Menschen zu tun. Sie kriegen den Druck von oben und den von unten, dazwischen hängen sie. Und entwickeln fast verrückte Züge dabei. Aber egal, was du über diese und jene Beamtin hörst, egal, was sie, dieses einmalig auftretende Lebewesen für ein Mensch ist: für dich ist sie zuerstmal in ihrer Funktion als Schließerin zuständig, und das heißt, du kannst kein Vertrauen zu ihr haben. Wenn du das immer im Kopf behältst, kannst du weitersehn. Dir alles anhören, beobachten, einschätzen, handeln. Jede wird das, nach ihren eignen Gefühlen und Gedanken tun: Der Widerstandskraft, sich nicht niederdrücken zu lassen. Dem menschlichen Stolz, den man sich nicht nehmen lassen sollte. Der Einsicht, daß es nicht darum geht, deine eignen Vorteile rauszuschlagen, weil du eine Ratte wirst dabei. Es gibt dir sehr viel Stärke, als Gefangene zusammenzuhalten. Zwar eingesperrt, aber nicht kleingekriegt.


[  zurück  ]



Kinder im Frauengefängnis

Seit 1967 gibt es im Frauenknast in Frankfurt-Preungesheim ein Mütter-Kind-Heim für Frauen mit noch nicht schulpflichtigen Kindern und solchen, die während der Haft ein Kind bekommen.

Die Finrichtung soll verhindern, daß Frauen sich wegen ihrer Inhaftierung von ihren noch kleinen Kindern trennen müssen und den Aufbau einer "positiven Mutter-Kind-Beziehung" fördern helfen. Aufnahmekriterien sind u.a., daß die Mutter "in der Lage und gewillt ist", ihr Kind selbst zu versorgen und auch nach der Entlassung bei sich zu behalten. Da das Kinderheim im Knast langfristig auch in anderen Städten eingerichtet werden soll, wollen wir hier etwas näher auf die Situation und die Probleme des "Frankfurter Modells" eingehen:

Einrichtung und Tagesablauf

Das 1975 neu errichtete Gebäude auf dem Anstaltsgelände bietet Platz für 20 Mütter mit 25 Kindern. Im Erdgeschoß liegt der "Kinderheim-Trakt" mit Kinderzimmern, Turnhalle, Besuchsräumen, Bezugspersonenraum, Arztzimmer u.a. Der "Zellentrakt" in den oberen Stockwerken besteht aus Einzelzimmern, in denen je eine Frau mit ihren Kindern bzw. ihrem Kind schläft. Für die Frauen gibt es einen Gemeinschaftsraum auf demselben Stockwerk, der ganze Trakt ist mit einer Gittertür verschließbar. Diese Glas-Gittertür wird morgens um 6.30 Uhr aufgeschlossen. Die Mütter gehen mit ihren Kindern zum Frühstück und um 7.30 bis 16 Uhr zur Arbeit ins Haupthaus (meist Wäscherei). Während dieser Zeit werden die Kinder von den Erziehern betreut. Einige gehen in einen nahe gelegenen öffentlichen Kindergarten.

Um 16.45 Uhr essen Mütter und Kinder gemeinsam zu Abend. Danach haben die Mütter Gelegenheit, sich mit ihren Kindern zu beschäftigen, sie zu baden, mit ihnen zu spielen, ihnen vorzulesen, um 19 Uhr werden die Kinder zu Bett gebracht. Danach haben die Mütter bis 20.45 Uhr Freizeit. Nach dem "Einschluß" in den Zellentrakt können sie sich noch im Gruppenraum aufhalten.

Der Vorteil des Heimes liegt darin, daß du von deinem Kind nicht getrennt wirst durch die Haft. Deshalb hast du aber noch keine Vorteile als Gefangene (wie manche Frauen meinen), sondern eher eine Doppelbelastung, und die Nachteile für das Kind sind unvermeidbar.

Situation eines Kindes im Knast

Bevor du dich entscheidest, mit deinem Kind in den Knast zu gehen,solltest du die zusätzlichen Probleme, die dadurch entstehen, bedenken. Weil du tagsüber arbeiten mußt, stellt die Versorgung deines Fundes am Feierabend eine Zusatzbelastung dar. Gestreßt und müde von der Arbeit kommend, wirst du oft noch weniger die Ruhe dazu haben, dich geduldig mit deinem Kind zu beschäftigen.

Deine Situation wird verschärft dadurch, daß das Kind den ganzen Tag mit den Erziehern zusammen ist. Alles, was ihm Spaß macht, wie spazieren gehen, Ausflüge machen, kann es nur mit ahnen machen. Demgegenüber sind deine Möglichkeiten eng begrenzt: du hast wenig Zeit für dem Kind und bist vielleicht gerade dann müde oder auch deprimiert. Um von deinem geringen Verdienst einmal eine Kleinigkeit für dein Kind kaufen zu können, mußt du dich selbst schon spürbar einschränken. Dadurch entsteht eine Konkurrenz zwischen Müttern und Erziehern, die die Kinder natürlich voll mitbekommen.

Nachteilig ist auch, wenn dein Kind täglich miterlebt, wie du der Schlüsselgewalt des Personals (auch der Erzieher) ausgeliefert bist und abhängig und unselbständig gemacht wirst. Wie soll es da selbständig und unabhängig werden. Du mußt auch damit rechnen, daß dein Kind im Knast eine andere, größere Bedeutung für dich bekommt, weil du von allen anderen engen persönlichen Beziehungen abgeschnitten bist. Deshalb werden dich ablehnende Äußerungen deines Kindes — von denen du draußen weißt, daß sie normal sind — vermutlich sehr viel stärker treffen und verletzen. Daß sich unter diesen Bedingungen keine "positive Mutter-Kind-Beziehung" entwickeln kann, hat sich bisher schon erwiesen. Schwierig ist zu entscheiden, was du für dein Kind, für seine Entwicklung getan hast, wenn du ihm durch deine Entscheidung für dieses Heim die Trennung von dir erspart hast.

Es wächst im Knast auf. Mit Mauern. Die Mauer, die einen Spielhof begrenzt, ist bunt bemalt und obenauf Stacheldraht. Mit Gittern und Schlüsselgeklirr. Mit kontrollierenden (auch männlichen) Beamten, die es durchsuchen. Die Ausflüge in die "Außenwelt" sind — wegen des Personalmangels — selten. Selbst wenn es in den Kindergarten "2draußen" geht, so muß es doch immer wieder "reingehen" und vielleicht daraus die Erfahrung bilden, daß es aus undurchschaubaren Gründen zu einer besonderen Sorte Mensch gehört.

Alles im Knast ist unnatürlich und künstlich. Nicht nur die Umgebung ist lebensfern und wenig abwechslungsreich, sodaß dein Kind vieles nicht sehen und nicht lernen kann, was für seine Altersgenossen selbstverständ­lich ist. Auch die Beziehungen der Menschen untereinander im Knast sind unnatürlich, vom institutionellen Zwang bestimmt. Auf engem Raum zwangsweise zusammengesperrt — ohne Ausweichmöglichkeiten, die draußen selbstverständlich sind — dazu in einer besonders belastenden Situation, wie sie die Haft für fast jeden darstellt, ergeben sich stärkere Spannungen und Reibungen, schärfere Auseinandersetzungen. Manche Frauen beschreiben das Leben im Heim als permanenten Kleinkrieg. Wie wird dein Kind damit fertig, daß es Beziehungen zwischen Erwachsenen hauptsächlich so erlebt? Wird es daraus die Erfahrung mitnehmen, daß menschliche Beziehungen immer so sind?

"Kinderknast" als Menschenversuch?

Erzieher, Psychologen und die für das Heim Verantwortlichen geben zu, daß niemand weiß, wie Kinder sich unter solchen Bedingungen entwickeln. Ob die Beziehung zur Mutter, die zweifellos von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung ist, die mit Sicherheit auch eintretenden Schädigungen und Beeinträchtigungen aufwiegen kann?

Im August 1976 traten Mütter in der JVA Frankfurt-Preungesheim in den Hungerstreik, um gegen die (aus Gründen der "Sicherheit") zunehmende Verknastung der Kinder zu protestieren, und 1977 haben vier pädagogische Mitarbeiter fristlos gekündigt, weil sie die Bedingungen für die Kinder für nicht mehr vertretbar hielten.

Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Tendenz, die sich in diesen als "Reformpro­jekte" verkauften Kmderknästen zeigt: Die Mitbestrafung der Kinder, die Sippenhaft, wird institutionalisiert.

Sicher, auch das Kind, das draußen zurückgelassen wird und womöglich am Ende im Fürsorgeheim — der traditionellen Form des Kindergefängnisses — landet, auch dieses Kind bekommt mit rücksichtsloser Härte zu spüren, was die Strafjustiz anrichtet. Die neuen Knastkinderheime machen es jedoch den Richtern sicher leichter, mit "gutem" Gewissen eine (werdende) Mutter einsperren zu lassen. Es wird dann vielleicht immer weniger Richter geben, die sich überlegen, mit Rücksicht auf die mitbetroffenen Kinder Bewährungsstrafen auszusprechen oder Strafaufschub zu gewähren.

Eine Entscheidung für ein solches Kinderheim kann also — das wollten wir deutlich machen — nur in Abwägung gegen andere Möglichkeiten getroffen werden:

Wenn du keine Bewährungsstrafe oder Strafaufschub mit Rücksicht auf dein Kind bekommst, so kümmere dich rechtzeitig um eine Pflegestelle,denn das Fürsorgeheim ist natürlich auch keine Alternative. (Zur Frage, was mit deinen Kindern geschieht, wenn du inhaftiert wirst,insbesondere, wie man verhindern kann, daß sie in ein Heim gesteckt werden, findest du Näheres in diesem Abscnitt )



[  zurück  ]