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29. Dezember 2005

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 1/2006 vom 3. Januar 20065

Erneut Verfassungsbeschwerde gegen die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft erfolgreich

Die Verfassungsbeschwerde eines Angeklagten, der sich seit fünf Jahren und zehn Monaten wegen des Verdachts der Verabredung zum Mord sowie mehrerer Betäubungsmittel- und Waffendelikte in Untersuchungshaft befindet, war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem die weitere Haftfortdauer angeordnet wurde, den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht verletze. Das Oberlandesgericht habe die der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerungen nicht hinreichend gewürdigt.

Das Oberlandesgericht hat unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Gesichtspunkte unverzüglich erneut zu entscheiden. Dabei wird es zu beachten haben, dass die festgestellten Verletzungen des Beschleunigungsgebotes eine weitere Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr rechtfertigen.

Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist lettischer und griechischer Staatsangehöriger. Er befindet sich seit dem 17. Februar 2000 in Untersuchungshaft. Nach Anklageerhebung fand gegen den Beschwerdeführer und zwei weitere Angeklagte im Zeitraum zwischen August 2001 und September 2004 an 156 Verhandlungstagen vor dem Schwurgericht die Hauptverhandlung statt. Am letzten Verhandlungstag sicherte die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensabsprache zu, bei tadellosem Verhalten des Beschwerdeführers im Strafvollzug zum Zwei-Drittel- Zeitpunkt einen Antrag auf bedingte Entlassung zu stellen. Mit Urteil vom 1. September 2004 wurde der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Das Urteil wurde unter fast vollständiger Ausschöpfung der gesetzlichen Urteilsabsetzungsfrist nach 8 Monaten schriftlich begründet. Sechs Wochen später wurde es dem Beschwerdeführer zugestellt. Gegen dieses Urteil legte der Beschwerdeführer Revision ein, über die noch nicht entschieden ist.

Der Antrag des Beschwerdeführers, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise außer Vollzug zu setzen, blieb vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolgreich.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Es kann dahinstehen, ob die vom Beschwerdeführer angegriffene Terminierungspraxis des Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer (nur ein regelmäßiger wöchentlicher Sitzungstag) mit den Vorgaben des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen unvereinbar war. Offen bleiben kann auch die hiermit im Zusammenhang stehende Frage, ob die eingetretenen Verzögerungen Ausdruck einer auf Langfristigkeit angelegten Verteidigungsstrategie gewesen sind und daher möglicherweise dem Gericht nicht zugerechnet werden können. Jedenfalls verstoßen die nach Erlass des Urteils des Landgerichts entstandenen Verfahrensverzögerungen gegen das Beschleunigungsgebot und sind ausschließlich dem Gericht anzulasten.

Dies betrifft zum einen die Dauer der Erstellung der Urteilsgründe. Zwar hat das Landgericht das Urteil innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist schriftlich abgesetzt. Bei dieser Frist handelt es sich aber um eine Höchstfrist, die, vor allem in Haftsachen, das Gericht nicht von der Verpflichtung entbindet, die Urteilsgründe unverzüglich, das heißt ohne vermeidbare justizseitige Verzögerungen, schriftlich niederzulegen. Soweit das Landgericht darauf verweist, dass die Urteilserstellung nicht stärker habe beschleunigt werden können, weil der berichterstattende Richter inzwischen an ein anderes Gericht abgeordnet, und der zweite berufsrichterliche Beisitzer zwischenzeitlich einer stark belasteten Zivilkammer zugewiesen worden war, ist dies mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen nicht vereinbar. Ebenso wie sich aus dem Beschleunigungsgebot die Pflicht des Gerichtspräsidenten ableitet, durch Ergreifen geeigneter organisatorischer Maßnahmen die beschleunigte Bearbeitung von Haftsachen sicher zu stellen, folgt daraus zugleich, solche gerichtsorganisatorische Maßnahmen zu unterlassen, die einer beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen zuwiderlaufen. Des Weiteren ist nicht nachvollziehbar, dass bis zur Zustellung des Urteils an den Beschwerdeführer weitere sechs Wochen vergangen sind.

Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht maßgebliche Abwägungsgrundsätze unbeachtet gelassen. Es hat der Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer bereits über einen Zeitraum von mehr als zwei Dritteln der verhängten Strafe in Untersuchungshaft befindet und die Staatsanwaltschaft ihm im Zuge einer Verfahrensabsprache zugesichert hat, bei tadellosem Verhalten im Strafvollzug zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt einen Antrag auf bedingte Entlassung zu stellen, keine Relevanz beigemessen. Vorliegend hätte aber gerade die Zusage der Staatsanwaltschaft Anlass zu einer Prognose über die Strafresterwartung geboten.

http://www.bverfg.de/entscheidungen

[  Beschluss vom 29. Dezember 2005 – 2 BvR 2057/05 –





5. Dezember 2005
Anordnung der Haftentlassung nach 8-jähriger Untersuchungshaft wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots

Die Verfassungsbeschwerde eines Angeklagten, der sich seit über acht Jahren wegen des Verdachts des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion mit sechsfachem Mord und zweifachem Mordversuch in Untersuchungshaft befindet, war erneut erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass die angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts und des Landgerichts den Beschwerdeführer wegen Verletzung des in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebots in seinem Freiheitsgrundrecht verletzen. Sie wurden zusammen mit dem zu Grunde liegenden Haftbefehl aufgehoben. Das Oberlandesgericht wurde angewiesen, den Beschwerdeführer unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 2. August 1997 in Untersuchungshaft. Ihm liegt zur Last, im Juli 1997 vorsätzlich eine Gasexplosion herbeigeführt zu haben, die das dem Beschwerdeführer gehörende Mietwohnhaus vollständig zerstörte, sechs Hausbewohner tötete und zwei weitere schwer verletzte. Nach einer Verfahrensdauer von über vier Jahren verurteilte ihn das Landgericht am 16. August 2001 wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge tateinheitlich mit sechsfachem Mord und zweifachem Mordversuch zu lebenslanger Freiheitsstrafe.

Auf die Revision des Beschwerdeführers hob der Bundesgerichtshof am 24. Juli 2003 die Entscheidung des Landgerichts wegen eines Verfahrensfehlers auf. Die Angaben der Zeugin H. vor dem Ermittlungsrichter hätten nicht im Urteil verwertet werden dürfen, weil der Beschwerdeführer und sein damaliger Verteidiger entgegen den strafprozessualen Bestimmungen nicht von dem Vernehmungstermin benachrichtigt worden seien. Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Die neue Verhandlung gegen den Beschwerdeführer hat am 6. Februar 2004 begonnen und dauert an.

Der Antrag des Beschwerdeführers, den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen, blieb vor dem Landgericht und Oberlandesgericht ohne Erfolg. Auf seine Verfassungsbeschwerde hin hob das Bundesverfassungsgerichts die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf und verwies die Sache zu erneuter Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück (Beschluss vom 23. September 2005 – 2 BvR 1315/05 -; Pressemitteilung Nr. 94/2005 vom 30. September 2005). Am 8. November 2005 verwarf das Oberlandesgericht die Haftbeschwerde erneut. Die nochmalige Überprüfung der Verfahrensakten habe keine der Justiz anzulastenden vermeidbaren Verfahrensverzögerungen ergeben. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Das Oberlandesgericht hat unter Missachtung der Bindungswirkung der vorausgegangenen Kammerentscheidung vom 23. September 2005 erneut nicht berücksichtigt, dass durch die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache eine dem Staat zuzurechnende Verfahrensverzögerung schon deshalb vorliegt, weil das ergangene Urteil verfahrensfehlerhaft war.

Dem kann, anders als das Oberlandesgericht meint, nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass die Verfahrensverlängerung aufgrund der Aufhebung des ersten Urteils im Revisionsverfahren Ausprägung einer rechtsstaatlichen Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems sei und deshalb einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen nicht begründen könne. Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die infolge der Durchführung eines Revisionsverfahrens verstrichene Zeit nicht der ermittelten Überlänge eines Verfahrens hinzuzurechnen. Hiervon ist aber dann eine Ausnahme zu machen, wenn das Revisionsverfahren der Korrektur eines offensichtlich der Justiz anzulastenden Verfahrensfehlers gedient hat. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts kommt es nicht darauf an, ob es sich um einen „eklatanten“ Verfahrensfehler handelt. Maßgebend ist allein, in wessen Sphäre der Verfahrensfehler wurzelt, in der des Beschwerdeführers oder in der der Justiz. Da vorliegend nur die Justiz von der bevorstehenden ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Zeugin H. Kenntnis hatte, konnte auch nur die Justiz der Benachrichtigungspflicht genügen. Der aus dem Unterlassen dieser Verpflichtung und der aus der späteren Verwertung der Aussage des Ermittlungsrichters resultierende Verfahrensfehler ist daher allein der Justiz anzulasten.

Angesichts der dadurch bedingten Verfahrensverlängerung von nahezu 25 Monaten (von der Einlegung der Revision gegen das erstinstanzliche Urteil vom 16. August 2001 bis zur Rückkehr der Akte zur Staatsanwaltschaft nach Abschluss des Revisionsverfahrens am 4. September 2003 gerechnet) kann auch von einer lediglich kleinen Verzögerung, die entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftaten eine Fortdauer der Untersuchungshaft noch rechtfertigen könnte, keine Rede mehr sein. Damit ist allein schon aus diesem Grunde eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen gegeben, die zwingend zur Aufhebung des Haftbefehls wegen Unverhältnismäßigkeit führen muss.

Dessen ungeachtet weist das Verfahren eine Vielzahl weiterer gravierender Verletzungen des Beschleunigungsgebots in Haftsachen auf, die jede für sich, aber erst recht in ihrer Gesamtheit zur Aufhebung der Untersuchungshaft zwingen.

[  Zum Beschluss vom 5. Dezember 2005 – 2 BvR 1964/05 –





23. November 2005
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Ablehnung einer gerichtlichen Sachentscheidung über Haftraumbedingungen

Die Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen, der vergeblich eine gerichtliche Entscheidung darüber erstrebt hatte, ob es zulässig war, dass er während seiner Haftzeit zusammen mit einer weiteren Person in einem Haftraum von weniger als 8 Quadratmetern mit nur durch einen Vorhang abgetrennten Sanitätsbereich untergebracht war, hatte Erfolg. Das Oberlandesgericht hatte seine Beschwerde gegen die Haftraumbedingungen als unzulässig verworfen, da der Beschwerdeführer während der Dauer des Rechtsstreits aus der Haft ins Ausland abgeschoben worden war und ein Interesse an nachträglicher Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung nicht bestehe. Es bestehe weder Wiederholungsgefahr noch sei ein Rehabilitationsinteresse erkennbar. Die 2. Kammer des Zweiten Senats stellte fest, dass der Beschluss des Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz verletzt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es zwar prinzipiell vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen. Daher ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses annehmen. Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung aber fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. In Verfahren, die die Haftraumunterbringung eines Gefangenen betreffen, entfällt das Rechtsschutzinteresse nicht mit der Beendigung der beanstandeten Unterbringung, wenn eine Verletzung der Menschenwürde durch die Art und Weise der Unterbringung in Frage steht. Dies war hier der Fall. Von weiteren Voraussetzungen war das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers daher nicht abhängig.

[  Zum Beschluss vom 23. November 2005 – 2 BvR 1514/03 –





29. November 2005
Aufrechterhaltung eines außer Vollzug gesetzten Haftbefehls bei ungewissem Verfahrensfortgang mit Freiheitsgrundrecht unvereinbar

Die Verfassungsbeschwerde eines Angeklagten, dessen Hauptverhandlung wegen des gesetzlichen Mutterschutzes der beisitzenden Richterin auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wurde, gegen die Aufrechterhaltung des (bereits außer Vollzug gesetzten) Haftbefehls war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht verletzt. Lassen sich Strafverfahren, in denen ein Haftbefehl außer Vollzug gesetzt ist, nicht in angemessener Zeit durchführen, weil der Staat der Pflicht zur Ausstattung der Gerichte – vor allem in personeller Hinsicht – nicht nachkommt, habe das unabweisbar die Aufhebung von Haftentscheidungen zur Folge. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist wegen gewerbsmäßiger Hehlerei und gewerbsmäßiger Veranstaltung unerlaubter Glücksspiele angeklagt. Er befand sich deshalb seit September 2003 in Untersuchungshaft. Nach Beginn der Hauptverhandlung im September 2004 setzte das Landgericht den Haftbefehl gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 200.000 Euro sowie gegen eine Meldeauflage außer Vollzug. Der Beschwerdeführer kam auf freien Fuß. Nach 44 Verhandlungstagen setzte das Landgericht die Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer unter gleichzeitiger Aufhebung des Haftbefehls und des Haftverschonungsbeschlusses im Juni 2005 auf unbestimmte Zeit aus, da das Verfahren bis zum Beginn des gesetzlichen Mutterschutzes der beisitzenden Richterin nicht mehr zu Ende geführt werden könne.

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft setzte das Oberlandesgericht den Haftbefehl und den Verschonungsbeschluss im September 2005 mit der Maßgabe wieder in Kraft, dass die Meldeauflage entfalle. Die Aussetzung des Verfahrens beruhe nicht auf einer Missachtung des Beschleunigungsgebots, sondern auf der sachlich nicht zu beanstandenden Erwägung, dass das Verfahren bis zu dem bevorstehenden Beginn des Mutterschutzes der Beisitzerin nicht mehr habe beendet werden können. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Bei der Prüfung der Frage, ob ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl aufrechtzuerhalten ist, ist – ebenso wie beim vollstreckten Haftbefehl – eine Abwägung zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch und dem Freiheitsinteresse des Beschwerdeführers vorzunehmen. Denn auch wenn die Untersuchungshaft nicht vollzogen wird, kann allein schon die Existenz eines Haftbefehls für den Beschuldigten eine erhebliche Belastung darstellen. Das Oberlandesgericht hat in die erforderliche Abwägung nicht alle relevanten Gesichtspunkte einbezogen sowie Bedeutung und Tragweite des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers verkannt.

So hat das Oberlandesgericht die Hintergründe der Aussetzungsentscheidung nicht aufgeklärt. Es hat nicht festgestellt, warum der Einsatz eines Ergänzungsrichters nicht in Betracht kam und weshalb der Abbruch der Hauptverhandlung – nach immerhin 44 Verhandlungstagen – unumgänglich war und auch durch einen überobligationsmäßigen Einsatz der Richterbank, etwa durch zusätzliche Verhandlungstermine in den Abendstunden oder gegebenenfalls auch am Wochenende (samstags), vor dem Eintritt der Beisitzerin in den Mutterschutz nicht mehr vermieden werden konnte. Der inhaftierte Beschuldigte hat es nicht zu vertreten, wenn seine Strafsache nicht binnen angemessener Frist zum Abschluss gebracht werden kann, weil familiär bedingte personelle Veränderungen auf der Richterbank mit einer ordnungsgemäßen Bewältigung des Geschäftsanfalls in Haftsachen kollidieren. Es handelt sich insoweit weder um einen unvorhersehbaren Zufall noch um ein schicksalhaftes Ereignis. Jede andere Beurteilung ist mit der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit unvereinbar. Dies gilt auf Grund der mit der Existenz des Haftbefehls verbundenen Belastungen und Beschränkungen der persönlichen Freiheit auch dann, wenn der Haftbefehl wie hier – bereits außer Vollzug gesetzt ist.

Zudem besteht für die Einschätzung des Oberlandesgerichts, das Verfahren gegen den Beschwerdeführer werde im Februar 2006 neu beginnen, keine tragfähige Grundlage. Der Vorsitzende der für die Hauptverhandlung zuständigen Strafkammer hat in seiner Stellungnahme lediglich erklärt, dass derzeit nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Sache vor Februar 2006 verhandelt werden könne. Von einem Verfahrensbeginn im Februar 2006 ist in der Stellungnahme nicht die Rede. Zudem hat der Vorsitzende seine Aussage ausdrücklich unter den Vorbehalt gestellt, dass keine neuen Haftsachen bei der Kammer eingehen. Da die Kammer nach der Mitteilung des Präsidenten des Landgerichts jedoch nicht mit einer Entlastung rechnen kann, besteht kein Grund für die Annahme, die Kammer werde vom Eingang neuer Haftsachen verschont bleiben. Sind aber Beginn, Dauer und Beendigung des Verfahrens gegenwärtig in keiner Weise zeitlich konkret absehbar, so ist dies bei der gebotenen Abwägung nicht mehr hinnehmbar und muss zur Aufhebung des Haftbefehls und des Aussetzungsbeschlusses führen.

Die Überlastung eines Gerichts fällt in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Der Staat kann sich dem Beschuldigten gegenüber nicht darauf berufen, dass er seine Gerichte nicht so ausstattet, wie es erforderlich ist, um die anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung abzuschließen. Lassen sich Strafverfahren, in denen ein Haftbefehl außer Vollzug gesetzt ist, nicht in angemessener Zeit durchführen, weil der Staat der Pflicht zur Ausstattung der Gerichte – aus welchen Gründen auch immer – nicht nachkommt, hat das unabweisbar die Aufhebung von Haftentscheidungen zur Folge. Die mit der Haftprüfung betrauten Gerichte verfehlen die ihnen obliegende Aufgabe, den Grundrechtsschutz der Betroffenen zu verwirklichen, wenn sie angesichts des Versagens des Staates, die Justiz mit den erforderlichen personellen und sächlichen Mitteln auszustatten, die im Falle einer Verletzung des Beschleunigungsgebots gebotenen Konsequenzen nicht ziehen.

Die Aufhebung allein der Meldeauflage trägt dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers nicht hinreichend Rechnung. Denn schon die Existenz des Haftbefehls begründet neben der Beschränkung der Freizügigkeit und den mit der Stellung der Kaution verbundenen finanziellen Nachteile eine erhebliche Belastung, die dem Beschwerdeführer angesichts der völligen Ungewissheit des Verfahrensfortgangs nicht weiter zugemutet werden kann.

[  Zum Beschluss vom 29. November 2005 – 2 BvR 1737/05 –





13. November 2005
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) sowie die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Überprüfungsverfahren gemäß § 67 d Abs. 2, § 67 e StGB, § 463 Abs. 3 und § 454 StPO.

[  Beschluss vom 13. November 2005





28. Oktober 2005
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Dauer von "Organisationshaft"
Pressemitteilung Nr. 105/2005 vom 28. Oktober 2005

Das Bundesverfassungsgericht hat sich erstmals zur Zulässigkeit der sog. Organisationshaft geäußert.

Das Strafgesetzbuch ordnet in § 67 StGB an, dass in den Fällen, in denen die Unterbringung im Maßregelvollzug neben einer Freiheitsstrafe angeordnet wird, grundsätzlich die Maßregel vor der Strafe vollzogen wird. Organisationshaft liegt vor, wenn ein Verurteilter, für den nicht sofort ein Unterbringungsplatz im Maßregelvollzug zur Verfügung steht, die Zwischenzeit in der "normalen" Strafhaft verbringt.

Der Beschwerdeführer wurde wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt; zugleich wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Da ein Unterbringungsplatz in einer Entziehungsanstalt nicht gleich zur Verfügung stand, verblieb der Beschwerdeführer nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils zunächst in der Justizvollzugsanstalt. Drei Monate später wurde er schließlich in einer Entziehungsanstalt untergebracht. Rechtsmittel des Beschwerdeführers gegen die Dauer der "Organisationshaft" blieben vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt er, die Fortdauer der "Organisationshaft" verletze ihn wegen des Fehlens einer darauf bezogenen gesetzlichen Regelung in seinen Grundrechten: Während des Wartens auf das Freiwerden eines Platzes im Maßregelvollzug dürfe er nicht in Haft gehalten werden.

Auf seine Verfassungsbeschwerde hin stellte die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts fest, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit der Person verletzen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist die "Organisationshaft" zwar nicht grundsätzlich verfassungswidrig. Die Gerichte hätten hier jedoch – in der irrigen Annahme einer festen Zeitspanne von drei Monaten für die Organisation der Unterbringung – nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Vollstreckungsbehörde unverzüglich die Überstellung des Beschwerdeführers in den Maßregelvollzug hätte herbeiführen müssen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Die Freiheitsstrafe und die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verfolgen unterschiedliche Zwecke. Anders als die Freiheitsstrafe ist die Maßregel der Unterbringung auf eine Therapie hin ausgerichtet. Beide Maßnahmen können deshalb auch nebeneinander angeordnet werden. Das Grundrecht auf Freiheit der Person erfordert es aber, sie einander so zuzuordnen, dass die Zwecke beider möglichst weitgehend erreicht werden.

Nach der gesetzlichen Regelung ist die Maßregel grundsätzlich vor der Strafe zu vollziehen, um die „therapeutisch fruchtbare Zeit“ zu nutzen. Die "Organisationshaft" dient der Vorbereitung der Maßregel. Sie führt aber dann zu einer gesetzeswidrigen und dem zu vollstreckenden Urteil widersprechenden Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge, wenn die Vollstreckungsbehörde nicht unverzüglich die Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug einleitet und herbeiführt. Denn in der Justizvollzugsanstalt kann die durch die Maßregelanordnung bezweckte Behandlung des Verurteilten nicht gewährt werden.

Die von Verfassungs wegen noch vertretbare Organisationsfrist kann nicht allgemein, sondern nur im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der Bemühungen der Strafvollstreckungsbehörde um eine beschleunigte Unterbringung des Verurteilten im Maßregelvollzug bestimmt werden. Im Hinblick auf das Freiheitsgrundrecht ist es verfassungsrechtlich geboten, dass die Vollstreckungsbehörden auf den konkreten, von der Rechtskraft des jeweiligen Urteils abhängigen Behandlungsbedarf unverzüglich reagieren und die Überstellung des Verurteilten in eine geeignete Einrichtung beschleunigt herbeiführen.

Diesen Anforderungen haben die angegriffenen Entscheidungen nicht Rechnung getragen. Auf der Grundlage der Annahme einer festen Zeitspanne von drei Monaten für die Organisation der Unterbringung haben die Gerichte im Ergebnis lediglich deren Einhaltung, nicht aber die Umstände für das Zustandekommen einer nahezu dreimonatigen Organisationsfrist geprüft. Die fachgerichtliche Behauptung, die Vollstreckungsbehörde habe sich in der gebotenen Zeit und mit der gebotenen Intensität um einen Unterbringungsplatz gekümmert, wird in den Beschlussgründen nicht erläutert und deckt sich nicht mit dem tatsächlichen Ablauf der Organisation der Unterbringung des Beschwerdeführers.

Da der Beschwerdeführer trotz zwischenzeitlicher Überstellung in eine Entziehungsanstalt ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung hat, ob die gegen ihn vollzogene "Organisationshaft" grundrechtswidrig war, wird die Sache zu erneuter Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

[  Beschluss vom 26. September 2005 – 2 BvR 1019/01 –





12. Oktober 2005
Pressemitteilung Nr. 98/2005 vom 12. Oktober 2005
Trotz Nichtannahme erfolgreiche Verfassungsbeschwerden – Verpflichtung der Fachgerichte zur Belehrung über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung

Die Beschwerdeführer sind Strafgefangene. Ihre getrennt voneinander eingelegten Verfassungsbeschwerden wurden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden. Im fachgerichtlichen Verfahren hatten sie jeweils eine Rechtsbeschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt. Die für die Aufnahme zuständigen Rechtspfleger hatten die Niederschriften mit einer beigefügten privatschriftlichen Begründung des jeweiligen Beschwerdeführers an das jeweils zuständige Oberlandesgericht weitergeleitet. Die Oberlandesgerichte verwarfen die Rechtsbeschwerden als unzulässig, weil der Rechtspfleger gestaltend an der Abfassung der Rechtsmittelschrift mitwirken und für deren Inhalt selbst die Verantwortung übernehmen müsse. Ein in der Niederschrift enthaltener Hinweis auf die dem Protokoll als Anlage beigefügte privatschriftliche Begründung des Beschwerdeführers reiche dafür nicht aus. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen komme nicht in Betracht.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten die Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren. Eine fehlerhafte Aufnahme ihrer Rechtsbeschwerde durch den Rechtspfleger dürfe nicht ihnen zur Last gelegt werden. Die 1. Kammer des Zweiten Senats nahm die Verfassungsbeschwerden zwar nicht zur Entscheidung an. Aus der Begründung der Nichtannahmeentscheidung ergibt sich jedoch, dass die Gerichte in Fällen wie den vorliegenden einem Rechtsuchenden den Weg weisen müssen, auf dem vermieden werden kann, dass er wegen eines auf Seiten der Justiz unterlaufenen Fehlers einen Rechtsverlust erleidet:

Die Verfassungsbeschwerde sei nicht zur Entscheidung anzunehmen, da der Rechtsweg noch nicht erschöpft sei. Da eine durch Fehler der aufnehmenden Justizbediensteten bedingte Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde nicht auf einem Verschulden des Beschwerdeführers, sondern auf einem Fehler der Justiz beruhe, hätten die Beschwerdeführer die Möglichkeit, zunächst bei den Fachgerichten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen. Eine Wiedereinsetzung scheide hier nicht wegen Fristablaufs aus. Jedenfalls dann, wenn der Wiedereinsetzungsgrund, wie hier, in einem den Gerichten zuzurechnenden Fehler liege, fordere der Grundsatz fairer Verfahrensführung eine ausdrückliche Belehrung des Betroffenen über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung. Ohne eine solche Belehrung, die hier bislang unterblieben sei, beginne die Wiedereinsetzungsfrist nicht zu laufen. Daher könnten die Beschwerdeführer innerhalb einer Woche ab Zustellung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle bei dem jeweils zuständigen Landgericht erneut Rechtsbeschwerde einlegen, indem sie gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen.

[  Zum Beschluss vom 27. September 2005 – 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04 und 2 BvR 907/04 –





26. September 2005
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen gegen seine Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt
Pressemitteilung Nr. 102/2005 vom 19. Oktober 2005

Der seit 1998 inhaftierte Beschwerdeführer wurde im Jahr 2003 in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt. Dadurch verlor er einen fünf Jahre lang innegehabten Arbeitsplatz. Die Verlegung wurde damit begründet, dass einige Stationsbedienstete gegen den Beschwerdeführer, nachdem ihm die Erlaubnis zum Besitz einer Schreibmaschine entzogen worden war, nicht eingeschritten seien, als dieser unrechtmäßig die Schreibmaschine eines Mitgefangenen in Besitz gehabt habe. Dies begründe Zweifel an der notwendigen Distanz der Bediensteten zum Beschwerdeführer. Rechtsmittel des Beschwerdeführers gegen seine Verlegung waren erfolglos.

Seine Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG fest. Die gegen seinen Willen erfolgende Verlegung eines Strafgefangenen könne für diesen mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen verbunden sein, da alle seine innerhalb der Anstalt entwickelten sozialen Beziehungen praktisch abgebrochen würden. Eine zusätzliche Beeinträchtigung ergebe sich, wenn der Wechsel der Anstalt mit dem Verlust einer Arbeitsmöglichkeit verbunden sei. § 85 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) ermögliche die Verlegung eines Strafgefangenen in eine andere Anstalt nur für den Fall, dass dessen Verhalten eine Gefahr für die Anstaltssicherheit oder -ordnung begründe, der in dieser Justizvollzugsanstalt nicht angemessen begegnet werden könne. Eine Verlegung des Gefangenen zur Abwehr von Gefahren, die durch Fehlverhalten des Vollzugspersonals begründet sind, sei dagegen weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck des § 85 StVollzG gedeckt.

[  Zum Beschluss vom 26. September 2005 – 2 BvR 1651/03 –





12. Mai 2005
2 BvR 570/03 vom  12.5.2003 Der Antragsteller, der sich in Untersuchungshaft befindet, begehrt die einstweilige Aussetzung einer Besuchssperre, die für Besuche seiner Verlobten verhängt wurde, weil diese mit dem Antragsteller unerlaubten Kontakt über die Gefängnismauer aufgenommen hatte.

[  Beschluss vom 12. Mai 2005





29. März 2005
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Untätigkeit
Pressemitteilung Nr. 30/2005 vom 7. April 2005

Die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines Strafgefangenen gegen die Untätigkeit des Landgerichts (LG) Hamburg in einer ihn betreffenden Vollzugssache war erfolgreich. Die 1. Kammer des Zweiten Senats stellte fest, dass die Untätigkeit des LG den Beschwerdeführer (Bf) in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hatte bei der Justizvollzugsanstalt erfolglos die Gewährung eines so genannten Schülerstatus zur Aufnahme eines Fernstudiums an der Universität Hagen beantragt. Im Juli 2000 stellte er in dieser Angelegenheit beim LG Hamburg Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Nachdem das LG diesen Antrag abgelehnt und der Bf hiergegen Rechtsbeschwerde eingelegt hatte, hob das Oberlandesgericht (OLG) mit Beschluss vom 11. September 2001 die Entscheidung des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurück. Im Oktober 2001 vermerkte die damals zuständige Richterin beim LG, sie sehe sich wegen starker Belastung nicht in der Lage, in der Sache eine Entscheidung zu treffen. In der Folgezeit wechselte, wie dem Bf auf Sachstandsanfrage mitgeteilt wurde, mehrfach die Besetzung der betreffenden Richterstelle.

Am 6. September 2002 legte der Bf beim LG Untätigkeitsbeschwerde ein. Das LG leitete diese Beschwerde, ebenso wie eine nachfolgende Sachstandsanfrage, nicht an das OLG weiter. Nachdem der Bf eine erneute Sachstandsanfrage direkt dem OLG zukommen ließ, forderte dieses die Akten vom LG an. Erst auf die dritte Anforderung des OLG übersandte das LG die Verfahrensakten. Mit Beschluss vom 2. Januar 2003 stellte das OLG die Rechtswidrigkeit der Untätigkeit des LG fest. Ungeachtet dessen traf das LG bisher keine Entscheidung in der Sache.

Mit seiner Vb rügt der Bf die Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). Darüber hinaus beanstandet er, dass es keinen wirksamen Rechtsschutz gegen eine derartige richterliche Untätigkeit durch ein Fachgericht gebe. Er fordere deshalb, dass es von Verfassungs wegen ermöglicht wird, das übergeordnete Fachgericht mit Entscheidungsmacht auszustatten, gegen ein willkürlich untätiges Untergericht vorgehen und selbst entscheiden zu können. Auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts beim LG, ob mittlerweile eine Entscheidung ergangen sei, und zweimaliger schriftlicher Aktenanforderung erfolgte keine Reaktion. Erst nach mehrmaliger direkter telefonischer Aufforderung des zuständigen Richters beim LG wurden die Verfahrensakten dem Bundesverfassungsgericht zugeleitet.

Die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg erklärte, von einer Stellungnahme abzusehen, wies aber darauf hin, dass der Bf allein im Jahr seines streitgegenständlichen Antrags insgesamt 54 Vollzugsverfahren beim LG Hamburg anhängig gemacht habe.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Das Grundgesetz (Art. 19 Abs. 4 GG) gewährleistet wirksamen Rechtsschutz. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Gründe, die es rechtfertigen könnten, dass auf den Beschluss des OLG vom 2. Januar 2003 hin nicht alsbald eine Entscheidung getroffen wurde, liegen nicht vor. Auf Umstände, die innerhalb des staatlichen Verantwortungsbereichs liegen, kann sich der Staat zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines Verfahrens nicht berufen. Welche Verfahrensdauer noch angemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles - unter anderem von der Bedeutung der Sache, den Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, der Schwierigkeit des Falles und dem Verhalten der Beteiligten - ab. Dem Richter steht für die Bearbeitung anhängiger Verfahren grundsätzlich ein Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen er aufgrund eigener Gewichtung solcher Faktoren Prioritäten in Abweichung von der Reihenfolge des Eingangs setzen kann.Inwieweit dabei auch der Umstand, dass ein Kläger die Justiz durch eine Vielzahl von Anträgen in besonderem Maße beansprucht, Zurücksetzungen rechtfertigt, ist im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Jedenfalls besteht ein diesbezüglicher Gestaltungsspielraum des Richters nicht mehr, wenn ein übergeordnetes Gericht festgestellt hat, dass bereits die bisherige Untätigkeit in dem betreffenden Verfahren rechtswidrig war.

Soweit sich die Vb dagegen wendet, dass auch im Falle festgestellter rechtswidriger Untätigkeit eines Gerichts das übergeordnete Gericht nicht die Möglichkeit hat, die festgestellte Rechtsverletzung zu beenden, indem es die Entscheidung an sich zieht, ist sie unbegründet. Der Bf wendet sich hier der Sache nach gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers. Durch die beharrliche Untätigkeit des LG im vorliegenden Fall wird nicht belegt, dass bereits die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht den Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 GG entsprechen. Verletzt ein Gericht durch Untätigkeit seine Pflicht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes, so bestehen neben der in vielen Fällen eröffneten Möglichkeit der Untätigkeitsbeschwerde weitere Möglichkeiten, auf ein pflichtgemäßes Verhalten der Justiz hinzuwirken.

[  Beschluss vom 29. März 2005 – 2 BvR 1610/03 –





21. März 2005
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die rechtlichen Folgen der Aufnahme einer Rechtsbeschwerde durch eine gemäß § 24 Abs. 1 RPflG hierzu nicht befugte Justizbedienstete.

1. Der Beschwerdeführer ist Strafgefangener. In einem Verfahren, das er gegen die Justizvollzugsanstalt wegen Nichtaushändigung eines Buches aus seiner Post angestrengt hatte, lehnte das Landgericht R. mit Beschluss vom 24. Februar 2003 seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet ab. Gegen diesen Beschluss erhob der nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer am 19. März 2003 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Rechtsbeschwerde. Die Rechtsbeschwerde wurde von einer Justizangestellten als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle aufgenommen. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. Mai 2003 verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als unzulässig, weil sie nicht in der Form des § 118 Abs. 3 StVollzG erhoben worden sei. Für die Aufnahme der Erklärung über die Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde bei Gericht sei nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 lit. a RPflG ausschließlich der Rechtspfleger zuständig. Die von einem unzuständigen Beamten aufgenommene Erklärung sei unwirksam. Das Rechtsmittel des Beschwerdeführers sei jedoch ausweislich der Niederschrift vom 19. März 2003 durch eine Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle erfolgt. Diese sei senatsbekannt keine Rechtspflegerin und auch nicht als solche tätig geworden. Auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wies das Oberlandesgericht den Beschwerdeführer nicht hin.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1, Art. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG. Es könne nicht von ihm erwartet werden, dass er die Unzuständigkeit einer Mitarbeiterin, zu der er in den Räumen der Geschäftsstelle geführt worden sei und die ihm erklärt habe, dass er bei ihr die beabsichtigte Rechtsbeschwerde form- und fristgerecht einlegen könne, erkenne. Das Landgericht habe seine Fürsorgepflicht verletzt. Da die Entscheidung des Oberlandesgerichts abschließend sei, bleibe ihm nur die Möglichkeit, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Neben der Aufhebung des angegriffenen Beschlusses beantragt der Beschwerdeführer, ihm von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Verfahren vor dem Oberlandesgericht zu gewähren.(...]

[  Beschluß vom 21. März 2005





30. Dezember 2004
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen das Anhalten einer an einen Strafgefangenen adressierten Informationsbroschüre zum Strafvollzug
Pressemitteilung Nr. 118/2004 vom 30. Dezember 2004

Auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines Hochschullehrers und Leiters des Strafvollzugsarchivs einer Universität, der sich gegen das Anhalten einer an einen Strafgefangenen gerichteten Informationsbroschüre zum Strafvollzug wandte, hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts den ablehnenden Beschluss des Landgerichts (LG) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen. Der Beschluss des LG verletzt den Beschwerdeführer (Bf) in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

Sachverhalt:

Auf die Bitte eines Strafgefangenen hin adressierte der Bf an diesen ein Exemplar der Broschüre „Positiv in Haft“. Die 128 Seiten umfassende Broschüre wird von der Deutschen Aidshilfe e.V. herausgegeben. Sie enthält neben einem medizinischen Teil auch einen Teil zu rechtlichen Fragen des Strafvollzugs, der als praktische Hilfestellung für Gefangene konzipiert ist und unter anderem „Musteranträge“ enthält. Der Bf ist im Impressum der Informationsschrift nicht aufgeführt. Die Einleitung zum rechtlichen Teil der Broschüre enthält jedoch den ausdrücklichen Hinweis, dass die nachfolgenden Informationen aus der Arbeit des Strafvollzugsarchivs der Universität hervorgegangen seien. Die Justizvollzugsanstalt hielt die Broschüre an und leitete sie nicht an den Strafgefangenen weiter, da die Broschüre Informationen enthalte, die die Gefangenen zu einem vollzugsablehnenden Verhalten und zu einer missbräuchlichen Handhabung des Beschwerderechts veranlassen könnten. Der gegen das Anhalten der Broschüre gerichtete Antrag des Bf blieb vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht ohne Erfolg.

Mit seiner Vb rügt der Bf eine Verletzung seiner Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: 1. Die Verbreitung der in der Broschüre abgedruckten Informationen fällt sachlich in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Der Bf ist auch selbst in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit betroffen. Dem steht nicht entgegen, dass er im Impressum der Broschüre nicht aufgeführt ist. Art. 5 Abs. 1 GG schützt die Freiheit der Äußerung und Verbreitung von Meinungen auf der einen, die Informationsfreiheit auf der anderen Seite. Dies sind einander ergänzende Elemente eines Kommunikationsprozesses. Übersendet jemand einem anderen zu dessen Information und Meinungsbildung einen gedruckten Text, so hängt der kommunikationsrechtliche Schutz nicht davon ab, dass es sich um einen vom Übersender verfassten, herausgegebenen oder auf andere Weise mitverantworteten Text handelt. Der Bf hat die Broschüre einem Strafgefangenen auf dessen gezielte Bitte um Information hin übersandt. Damit erfolgte die Übersendung in einem von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Kommunikationszusammenhang. Der Bf hat als Leiter der Einrichtung, aus deren Arbeit der rechtliche Teil der Broschüre hervorgegangen ist, auch nicht nur in der Rolle eines interesselosen Vermittlers und damit nicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 GG gehandelt.

2. Die Entscheidung des Landgerichts trägt der Bedeutung von Art. 5 Abs. 1 GG für die Auslegung und Anwendung des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) nicht hinreichend Rechnung. Nach § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG darf einem Gefangenen der Besitz von Büchern und anderen Gegenständen zur Fortbildung verwehrt werden, wenn anderenfalls das Ziel des Vollzugs oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde. Wird ein Strafgefangener in sachlicher, vollständiger und juristisch vertretbarer Weise in einer Broschüre über seine Rechte informiert, so begründet dies keine Gefahr im Sinne des § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG. Um verbotene Rechtsberatung handelt es sich im vorliegenden Fall unstreitig nicht. Information, die den Gefangenen über seine Rechte belehrt, stellt auch nicht schon aus diesem Grund – etwa weil sie die Einlegung von Rechtsbehelfen durch Gefangene wahrscheinlicher machen und damit für die Anstalt Arbeitsaufwand erzeugen kann – eine Gefahr im Rechtssinne dar.

Das LG hat seine Beurteilung der angehaltenen Broschüre als gefährlich vor allem auf die darin enthaltenen Informationen zur rechtlichen Behandlung der Flucht gestützt. Diese könne bei den Gefangenen den Eindruck erwecken, Flucht sei eine richtige Handlungsweise. Diese Schlussfolgerung des LG findet im Text der Broschüre keine Stütze. In der Broschüre wird lediglich die herrschende Auffassung zur Sanktionierbarkeit von Flucht in Zweifel gezogen. Dies schließt nicht die Bewertung des fraglichen Verhaltens als richtig ein. Im Übrigen hat sich das Gericht auch nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob der von ihm angenommenen Gefahr nicht durch mildere Mittel – etwa durch Schwärzen oder durch Entfernung der beanstandeten Passage aus der umfangreichen Broschüre – hätte begegnet werden können.

[  Beschluss vom 15. Dezember 2004 – 2 BvR 2219/01 –





19. November 2004
Zur regelmäßigen Überprüfung der Sicherungsverwahrung
Pressemitteilung Nr. 102/2004 vom 19. November 2004

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat der Verfassungsbeschwerde (Vb) eines Beschwerdeführers (Bf), der sich gegen das Überschreiten der Zweijahresfrist bei der turnusmäßigen Überprüfung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung wendet, stattgegeben und festgestellt, daß die Fristüberschreitung das Grundrecht des Bf auf Freiheit der Person (Art. 2 Absatz 2 Satz 2 GG) verletzt.

1. Zum Sachverhalt:

Der Bf wurde seit 1976 mehrfach wegen Körperverletzungen, sexueller Nötigungen, Vergewaltigung und versuchter Vergewaltigungen verurteilt. Seit 1993 befand er sich erneut in Untersuchungs- und Strafhaft. Seit Januar 2001 wird die Sicherungsverwahrung vollzogen. Die Strafvollstreckungskammer hat vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe im August 2002 geprüft, ob die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung noch erforderlich ist. Über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung ist sodann jeweils vor dem Ablauf von zwei Jahren zu entscheiden (§ 67 e Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 Strafgesetzbuch; StGB). Die Überprüfungsentscheidung zum Ablauf der ersten zwei Jahre hat die Strafvollstreckungskammer bislang nicht getroffen. Der Antrag des Bf festzustellen, dass die Verzögerung der Entscheidung rechtswidrig sei, blieb vor dem Landgericht (LG) und dem Oberlandesgericht (OLG) erfolglos. Mit seiner dagegen gerichteten Vb hat der Bf den Antrag verbunden, seine sofortige Freilassung einstweilen anzuordnen.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es:

LG und OLG haben das Grundrecht des Bf auf Freiheit der Person verletzt, weil die Gerichte nicht innerhalb der gesetzlichen Frist geprüft haben, ob die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung noch erforderlich ist. Die Sicherungsverwahrung stellt einen erheblichen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht dar. Die Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs wird durch verfahrensrechtliche Sicherungen und durch eine inhaltliche Ausgestaltung des Vollzuges der Freiheitsentziehungen erreicht. Verfahrensrechtlich muss gewährleistet sein, dass das Vollstreckungsgericht die Notwendigkeit weiterer Maßregelvollstreckung regelmäßig überprüft und dabei besonderen Anforderungen an die Wahrheitserforschung gerecht wird.

Die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung, über die dazu regelmäßig erforderliche Anhörung des Betroffenen und über die zur Vorbereitung einer etwaigen Aussetzung gebotene sachverständige Begutachtung dienen der Wahrung des Übermaßverbotes bei der Beschränkung des Freiheitsgrundrechts. Ihre Missachtung kann dieses Grundrecht verletzen, wenn es sich um eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht handelt, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lässt.

Das LG hat die Zweijahresfrist in nicht mehr vertretbarer Weise missachtet. Die Untätigkeit ist nicht zu rechtfertigen. Der Geschäftsgang der Kammer muss in der Verantwortung entweder des Vorsitzenden oder eines Berichterstatters eine Fristenkontrolle vorsehen, die die Vorbereitung einer rechtzeitigen Entscheidung vor Ablauf der Zweijahresfrist sicherstellt. Dabei muss berücksichtigt werden, dass in aller Regel der Betroffene persönlich anzuhören ist und dass auch für eine sachverständige Begutachtung ausreichend Zeit verbleibt, wenn die Kammer eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung erwägen sollte. Die vorgesehene Entscheidungsfrist von zwei Jahren seit der letzten Überprüfungsentscheidung lässt dafür ausreichend Raum. Die Strafvollstreckungskammer hat den Bf mehr als zwei Monate nach Fristablauf angehört. Selbst danach ist nicht zu erkennen, dass sie die Angelegenheit wenigstens als eilbedürftig angesehen hätte, um die Fristüberschreitung so gering wie möglich zu halten. Stattdessen wurde die Entscheidung weiter hinausgezögert. Einem solchen Vorgehen hätte unter bestimmten Voraussetzungen eine erneute Überprüfung innerhalb des Zweijahresintervalls (§ 67e Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StGB) vorgezogen werden müssen.

Auch eine Überlastung der Strafvollstreckungskammer könnte nicht verfangen. Die gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Frist (§ 67e StGB) ist einzuhalten. Gerät die Fristwahrung trotz vollständigen Ausschöpfens der Arbeitskraft der beteiligten Richter in Gefahr, muss sich der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer an das Präsidium des Gerichts wenden, damit dieses, gegebenenfalls mit Unterstützung durch die Landesjustizverwaltung, für Abhilfe sorgen kann. Der Grundrechtsschutz der von langjähriger Freiheitsentziehung Betroffenen erfordert auch Maßnahmen der Personalführung, die eine effiziente Arbeit der Strafvollstreckungskammern sicherstellen.

Die Verletzung des Freiheitsgrundrechts des Bf durch die Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer bei der Überprüfung der weiteren Fortdauer der Sicherungsverwahrung führt nicht zu dessen Freilassung. Das mit dem Maßregelvollzug verfolgte Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen tritt noch nicht zurück, wenn das grundrechtlich gebotene Verfahren erst um einige Monate verzögert wurde.

[  Beschluss vom 16. November 2004 – 2 BvR 2004/04 –





6. Oktober 2004
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anwendung deutschen Verjährungsrechts auf den Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685, 953) in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2002 (BGBl II S. 1054).

[  1 BvR 414/04 vom 6.10.2004





10. August 2005
In dem Verfahren über den Antrag

des Herrn F... ,

im Wege der e i n s t w e i l i g e n A n o r d n u n g

a) das Landgericht Halle zu verpflichten, über den Antrag des Antragstellers vom 28. März 2004 im dortigen Verfahren 27 StVK 43/04 innerhalb von sieben Tagen eine Entscheidung zu treffen, b) die Justizvollzugsanstalt Halle I zu verpflichten, den Antragsteller gemäß § 18 StVollzG und Nr. 14. 1. der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze während der Ruhezeiten einzeln unterzubringen,

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

den Richter Jentsch, den Richter Broß und die Richterin Lübbe-Wolff

gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 10. August 2004 einstimmig beschlossen:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

Der Antrag, das Landgericht Halle zu einer Entscheidung innerhalb von sieben Tagen zu verpflichten, kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil eine einstweilige Anordnung dieses Inhalts in unzulässiger Weise die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen würde. Die Beschlussfassung, zu der das Landgericht mit einer derartigen Anordnung verpflichtet würde, hätte keinen vorläufigen Charakter

Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn dem Antragsteller in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht gewährt werden könnte (vgl.BVerfGE 108, 34 , m.w.N.). Diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn beantragt wird, ein Fachgericht im Wege der einstweiligen Anordnung auf einen Entscheidungstermin zu verpflichten. Wirksamer vorläufiger Rechtsschutz kann in solchen Fällen grundsätzlich dadurch gewährt werden, dass - sofern die Voraussetzungen hierfür vorliegen - eine einstweilige Anordnung zur vorläufigen Sicherung des im Verfahren vor dem Fachgericht verfolgten materiellrechtlichen Anspruchs ergeht. Die Terminierung fachgerichtlicher Entscheidungen entzieht sich daher der Regelung durch einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Jentsch Broß Lübbe-Wolff

[  Beschluß vom 10. August 2005





12. Mai 2004
Verfassungsbeschwerde gegen unterschiedliche Entlohnung von Straf- und Untersuchungsgefangenen ohne Erfolg
Pressemitteilung Nr. 48/2004 vom 12. Mai 2004

Es liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz darin, dass nach dem Strafvollzugsgesetz für die Arbeit von Untersuchungsgefangenen nicht dasselbe Entgelt gezahlt wird wie für die Arbeit von Strafgefangenen. Dies hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines ehemaligen Untersuchungsgefangenen (Beschwerdeführer; Bf) festgestellt und dessen Vb mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen.

1. Zum Sachverhalt:

Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1998 zur Entlohung der Pflichtarbeit von Gefangenen hat der Bundesgesetzgeber durch Gesetz vom 27. Dezember 2000 das Arbeitsentgelt für Strafgefangene erhöht. Das Entgelt für die von erwachsenen Untersuchungsgefangenen geleistete Arbeit blieb unverändert. Der Bf verlangte eine Berechnung des Entgelts für Arbeit, die er als Untersuchungsgefangener geleistet hat, nach den für Strafgefangene geltenden Sätzen. Das Kammergericht Berlin verneinte den geltend gemachten Anspruch auf ein nach diesen Sätzen berechnetes, erhöhtes Entgelt. Mit der hiergegen gerichteten Vb rügt der Bf insbesondere einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz.

2. In den Gründen des Beschlusses heißt es:

Der Strafvollzug ist vom verfassungsrechtlich verankerten Resozialisierungsgebot geprägt. Arbeit im Strafvollzug ist für das Resozialisierungskonzept des Strafvollzugsgesetzes von zentraler Bedeutung. Die Verpflichtung des Strafgefangenen zur Arbeit soll ein positives Verhältnis zur Arbeit fördern und ihn damit auf ein eigenverantwortetes und straffreies Leben in Freiheit vorbereiten.

Die Untersuchungshaft nach den Grundsätzen des Erwachsenenvollzugs dient dagegen der Sicherung des Strafverfahrens und einer eventuellen Strafvollstreckung und ist auf diesen Sicherungszweck beschränkt. Für dessen Verwirklichung kommt es nicht darauf an, dass der Untersuchungsgefangene Arbeit verrichtet. Untersuchungsgefangene sind daher nach dem Strafvollzugsgesetz, anders als Strafgefangene, jedenfalls im Erwachsenenvollzug zur Arbeit nicht verpflichtet.

Mit Rücksicht auf die unterschiedliche Bedeutung, die der Arbeit nach der Zweckbestimmung von Untersuchungs- und Strafhaft zukommt, war der Gesetzgeber nicht gehalten, die von erwachsenen Untersuchungsgefangenen geleistete Arbeit in gleicher Weise wie die Arbeit von Strafgefangenen anzuerkennen.

[  Beschluss vom 15. März 2004 – 2 BvR 406/03 –





4. Mai 2004
Zum Rechtsschutz gegen den Vollzug eines Vollstreckungshaftbefehls
Pressemitteilung Nr. 47/2004 vom 4. Mai 2004

Ein Beschwerdeführer (Bf), der zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen den Vollzug eines Vollstreckungshaftbefehls teilweise Erfolg. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) München aufgehoben, soweit er den Bf durch das fehlerhafte Verneinen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt. Insoweit wird die Sache an das OLG zur Nachholung der Sachprüfung zurückverwiesen. Im übrigen ist die Vb nicht zur Entscheidung angenommen worden. Der vom Bf weiter gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat sich damit erledigt.

1. Zum Sachverhalt:

Der zunächst für den 9. Dezember 2002 vorgesehene Strafantritt durch den Bf wurde antragsgemäß von der Staatsanwaltschaft um knapp vier Monate aufgeschoben. Auf ein Gnadengesuch des Bf stellte die Staatsanwaltschaft die Vollstreckung vorläufig ein. Bis zur Entscheidung über das Gesuch werde von der Anwendung von Zwang abgesehen. Das Gnadengesuch wurde abgelehnt. Am Abend des 3. Juni 2003 erhielt der Bf den ablehnenden Bescheid und wurde auf Grund des Vollstreckungshaftbefehls der Staatsanwaltschaft vom selben Tage festgenommen.

Auf Betreiben seines Verteidigers wurde er wieder freigelassen. Absprachegemäß begab er sich am nächsten Morgen zur Staatsanwaltschaft. Diese vollstreckte den Haftbefehl, und der Bf verbüßt seitdem die Freiheitsstrafe. Der Bf beantragte festzustellen, dass Erlass und Vollzug des Haftbefehls rechtswidrig gewesen seien und dass er im Vollzug wie ein Selbststeller zu behandeln sein. Das OLG hat beide Anträge als unzulässig verworfen. Dem Bf fehle mangels Feststellungsinteresses das Rechtsschutzinteresse. Hiergegen richtet sich die Vb. Der Bf sieht sich in seinen Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es:

a) Mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ist es vereinbar, dass das für die Gewährung von gerichtlichem Rechtsschutz erforderliche Rechtsschutzinteresse eine gegenwärtige Beschwer, eine Wiederholungsgefahr oder eine fortwirkende Beeinträchtigung voraussetzt. Darüber hinaus sind Anordnungen einer Wohnungsdurchsuchung und einer Freiheitsentziehung einer gerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Überprüfung auch dann zugänglich, wenn die angeordnete Maßnahme inzwischen durchgeführt und beendet ist.

Insoweit handelt es sich um schwerwiegende Grundrechtseingriffe, bei denen der Betroffene regelmäßig die gerichtliche Entscheidung in dem von der maßgeblichen Prozessordnung vorgesehenen Verfahren kaum erlangen kann, solange die direkte Belastung andauert. Wegen der sachlichen Nähe zum Freiheitsrecht ist eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung möglich, wenn der Betroffene ein am Maßstab einfachen Rechts so eklatant fehlerhaftes Vorgehen eines Hoheitsträgers geltend machen kann, dass objektive Willkür nahe liegt.

Indem das OLG den Feststellungsantrag des Bf als unzulässig verworfen hat, hat es das Grundrecht des Bf auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Zwar hat das OLG im Ergebnis zu Recht eine Verletzung des Freiheitsrechts des Bf (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs.1 und 2 GG) verneint. Die Freiheitsentziehung hat in dem zu vollstreckenden Strafausspruch eine ausreichende Grundlage. Auch das Gebot der Achtung der Menschenwürde ist nicht verletzt.

Zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Wert- und Achtungsanspruchs wird ein Verurteilter nicht schon dann, wenn ihm die Möglichkeit des Selbststellens genommen wird. Das OLG hätte aber prüfen müssen, ob das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in einem Maße unverhältnismäßig und damit rechtsstaatswidrig gewesen sein könnte, dass das Willkürverbot verletzt wäre. Auch wenn für den Eingriff in ein Grundrecht eine verfassungsrechtlich zureichende Grundlage besteht, ist bei deren Anwendung und Durchsetzung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. Einen angemessenen Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse, die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe sicherzustellen, und dem Interesse des Verurteilten stellen die Bestimmungen der Strafprozessordnung und der Strafvollstreckungsordnung her.

Ein Vollstreckungshaftbefehl darf danach erst ergehen, wenn der Verurteilte der Ladung zum Strafantritt ohne ausreichende Entschuldigung nicht folgt oder Fluchtverdacht besteht. Der Bf hatte bisher eine wirksame Fristsetzung oder Terminbestimmung nicht missachtet. Es bestand auch kein Fluchtverdacht. Deshalb war es grob unverhältnismäßig, Zwangsmaßnahmen vorzunehmen, ohne ihm zuvor die Gelegenheit zu geben, sich dem Strafantritt freiwillig zu stellen. Er durfte bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Gnadengesuchs auf die vorläufige Einstellung der Vollstreckung vertrauen. Das rechtsstaatliche Gebot der Vorausschaubarkeit und Abwendbarkeit von Zwangsmaßnahmen hätte eine erneute Ladung und Fristsetzung zum Strafantritt erfordert.

b) Soweit das OLG den weiteren Feststellungsantrag des Bf, dass er im Strafvollzug wie ein Selbststeller zu behandeln sei, als unzulässig verworfen hat, liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Vb zur Entscheidung nicht vor. Der Bf hat nicht dargelegt, welche Nachteile er derzeit hinzunehmen hätte, weil er aufgrund des Haftbefehls der Justizvollzugsanstalt zugeführt wurde. Sollte es zukünftig etwa bei der Entscheidung über Vollzugslockerungen darauf ankommen, dass er aufgrund eines nicht erforderlichen Vollstreckungshaftbefehls der Justizvollzugsanstalt zugeführt wurde, kann er etwaige nachteilige Entscheidungen der Vollzugsbehörden und Vollstreckungsgerichte fachgerichtlich überprüfen lassen.

[  Beschluss vom 8. April 2004 - 2 BvR 1811/03 -





22. März 2004
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Unterbringung eines Straftäters nach Vollverbüßung der Freiheitsstrafe auf Grund des Bayerischen Gesetzes zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern (BayStrUBG) vom 24. Dezember 2001 (BayGVBl S. 978 f.).

[  2 BvR 1097/02 vom 22.3.2004





15. März 2004
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Unterbindung von Videotextempfang in der Strafhaft durch Widerruf der Besitzerlaubnis für einen zum Empfang erforderlichen Gegenstand.

[  2 BvR 669/03 vom 15.3.2004





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4. April 2001
Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffen - bei zum Teil unterschiedlichem Sachstand nach zwischenzeitlicher Verlegung des Beschwerdeführers in einen anderen Haftraum - die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Haftzelle, die er im Blick auf ihre Größe, das Vorhandensein einer nicht abgetrennten Toilette, der Überwachungsmöglichkeit durch Öffnungen in der Zellentür und der Verschmutzung des Raumes als unzumutbar ansieht.

[  2 BvQ 6/01, 2 BvR 471/01 vom 4.4.2001





21. August 2000
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Haft zur Erzwingung des Zeugnisses gemäß § 70 Abs. 2 StPO gegen den Beschwerdeführer.

[  2 BvR 1372/00 vom 21.8.2000





6. August 1999
1. Der Antragsteller verbüßt seit 1991 eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes.

Am 25. Juni 1999 wurde er aus der Justizvollzugsanstalt Geldern in die Justizvollzugsanstalt Werl verlegt, nachdem er während einer Ausführung zu einem Fußballspiel am 9. Juni 1999 geflohen war und erst zwei Tage später wieder hatte aufgegriffen werden können. In der Vollzugsanstalt Werl wurde der Antragsteller zunächst vom 25. bis 29. Juni 1999 in strenge Einzelhaft genommen. Seit dem 29. Juni 1999 unterliegt er einer Reihe besonderer und allgemeiner Sicherungsmaßnahmen, so der Unterbringung in einem besonders gesicherten Einzelhaftraum, dem Verbot des Besitzes von Gegenständen, die ihm zur Flucht dienen können, dem Entzug der Freizeit- und Sportkleidung, häufigeren Durchsuchungen, der Fesselung bei Aus- und Vorführungen und der besonderen Kontrolle seines Schrift-, Besuchs-, Paket- und Telefonverkehrs. An Gemeinschaftsveranstaltungen und am Umschluß sowie am Arbeitseinsatz darf er nur unter besonderer Aufsicht teilnehmen. Außerdem ist seine Haftraumtür mit einem Schild für erhöhte Fluchtgefahr gekennzeichnet.

[  2 BvQ 34/99 vom 6.8.1999





17. Juni 1999

1. Der Beschwerdeführer verbüßt in der Justizvollzugsanstalt Straubing eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes.Zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeantrags verwahrte er seit drei Jahren diverse Aktenordner mit Verfahrensunterlagen auf seinem Haftraum, ohne daß dies bei einer der regelmäßig stattfindenden Haftraumkontrollen beanstandet wurde. Zur Herstellung der Übersichtlichkeit des Haftraums und zur Verringerung der Brandgefahr (vgl. § 19 Abs. 2 StVollzG) wurden dann 26 Aktenordner aus dem Haftraum entfernt und in einen gesicherten Raum verbracht. Zwölf Aktenordner wurden dem Beschwerdeführer belassen, wobei ihm die Möglichkeit eingeräumt wurde, diese nach bestimmten Modalitäten auszutauschen.

[  2 BvR 1454/98vom 17.6.1999





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