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Inhaftieren und Abkassieren
Gefängnisindustrie in den USA

Eine Sendung des Rote Hilfe Radio (Hamburg) vom Juli 99
Nashville, Tennessee, 28. August 1996: 5000 Besucher drängeln sich auf einer nicht ganz alltäglichen Fachmesse. Hier kann man Stacheldraht kaufen, spezielle Stühle zum Festschnallen und Anketten von Menschen, Schlagstöcke, Telefonüberwachungsanlagen, Metalldetektoren und eine unüberschaubare Masse anderer furchteinflößender Gegenstände. Wir sind auf der weltgrößten "Strafvollzugsmesse". An mehr als 600 Ständen bieten Unternehmen aus den gesamten Vereinigten Staaten ihre Dienste an - vom Hersteller simpler Plastikhandschellen über Dienstleistungsbetriebe, die besonders bullige Gefängniswärter anbieten bis hin zu Baufirmen, die Pläne ganzer Gefängniskomplexe ausstellen.

Ein Blick auf diese Messe läßt ahnen, welche wirtschaftliche Bedeutung das Gefängniswesen in den USA bekommen hat. Was einst eine Nischenwirtschaft war, in der sich nur eine Handvoll Unternehmen tummelte, ist binnen weniger Jahre zu einer Multimilliardenindustrie angewachsen - mit Fachmessen, Verkaufsschauen, eigenen Websites, Mail-order-Katalogen und direct- marketing-Kampagnen. Eine eigene Repressionsindustrie ist entstanden, in der sich die größten Architekturbüros und Baufirmen des Landes ebenso tummeln wie Wall-Street- Investmentgesellschaften, die ihr Geld in Privatgefängnisse stecken, Lieferanten von Rohren und Sanitäranlagen, Unternehmen der Lebensmittelbranche, der Gesundheitsfürsorge und solche, die von kugelsicheren Überwachungskameras bis hin zu farbigen Gummizellen einfach alles anbieten.
Die Profite, um die es diesen Unternehmen geht, werden mit Strafgefangenen gemacht, deren Anzahl in schwindelerregende Höhen angestiegen ist. Die Vereinigten Staaten können sich mit Recht Weltmeister im Einsperren der eigenen Bevölkerung nennen. So sind heute mehr als zwei Millionen US-Bürger inhaftiert. Mehr als ein Prozent der männlichen erwachsenen Bevölkerung sitzt im Knast. Die "Einsperr-Rate" - also der Anteil von Inhaftierten an der Bevölkerung - ist die höchste in der Geschichte der Menschheit. Sie ist heute etwa zehnmal so hoch wie die durchschnittlicher europäischer Länder und mehr als 17mal so hoch wie die Japans. Alleine in Kalifornien sitzen mehr Menschen im Gefängnis als in Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Japan, Singapur und den Niederlanden zusammen. Das war nicht immer so: Die Zahl der kalifornischen Strafgefangenen hat sich in den letzten 20 Jahren verachtfacht. Dieser Trend war in den gesamten USA zu beobachten. Entsprach die "Einsperr-Rate" bis in die späten Siebziger in etwa der europäischer Länder, so stieg sie Anfang der Achtziger rapide an. Im darauffolgenden Jahrzehnt verdoppelte sich die Zahl der Gefängnisinsassen - und die nun doppelte Zahl verdoppelte sich wiederum in den Neunzigern ... oder genauer: Sie wurde verdoppelt.

Wie kam es zu diesen Masseninhaftierungen? Die Kriminalitätsrate fällt seit 1992, nichtsdestoweniger werden Jahr für Jahr mehr Menschen in immer neue Gefängnisse gesteckt. In den letzten 20 Jahren sind etwa eintausend neue Haftanstalten in den USA gebaut worden, fast alle sind hoffnungslos überfüllt. Den entscheidenden Schritt zur Inhaftierung Hunderttausender von Menschen machte Anfang der achtziger Jahre die Reagan-Administration, als sie den sogenannten "War On Drugs", den Krieg gegen die Drogen, ausrief.
Im Zuge einer angeblichen Drogenbekämpfungspolitik wurden die Gesetze landesweit verschärft und die Mindeststrafen erhöht. Seitdem werden deutlich mehr Gefängnisstrafen ausgesprochen, längere Strafen verhängt und weniger Bewährungsstrafen vergeben. Die Zahl der Inhaftierungen wegen Drogenvergehen ist seit dem Beginn des "War On Drugs" um sage und schreibe eintausend Prozent angestiegen. So sitzen heute alleine wegen Drogenvergehen erheblich mehr Menschen im Knast als noch vor zwanzig Jahren überhaupt Menschen im Gefängnis saßen. Wogegen bzw. gegen wen sich der "War On Drugs" tatsächlich richtet, zeigt die Justizstatistik: 74% der wegen Drogen Eingesperrten sind Afroamerikaner, obwohl die Afroamerikaner nur 12% der US-Bevölkerung stellen.

Interessant ist auch ein mittlerweile berüchtigtes Antidrogengesetz von 1986: Nach ihm wird drakonisch bestraft, wer Kokain in Form von Crack mit sich führt. Relativ milde ist die Strafe für das Mitführen von Kokain in Pulverform. Um für zehn Jahre ins Gefängnis zu wandern, reicht der Besitz von 50 Gramm Crack - von Koks hingegen muß man schon fünf Kilo mit sich führen. Unnötig zu sagen, daß Crack die Droge der Armen und Koks die der Reichen ist. Vor ein paar Jahren machte die Regierung Bill Clintons auch hierzulande Schlagzeilen, als sie das "Three strikes, you're out"-Gesetz durchs Parlament brachte. "Three strikes, you're out" (drei Treffer, und du bist raus), das bedeutet: Wer zum dritten Mal bei einer Straftat geschnappt wird, egal bei welcher, auch wenn es nur der Diebstahl einer Tafel Schokolade ist, wird automatisch zu lebenslanger Haft verurteilt. In derselben Legislaturperiode führte die Clinton- Administration eine Sozialreform durch, die den individuellen Anspruch auf Wohlfahrtsunterstützung beinahe gänzlich abschaffte. Nach den neuen Regelungen können Arme nicht mehr als zusammengerechnet drei Jahre ihres Lebens Wohlfahrtsunterstützung bekommen. Während die Sozialausgaben Jahr für Jahr weiter gesenkt wer-den - übrigens auch die öffentlichen Ausgaben fürs Bildungswesen -, explodieren die Ausgaben für den Strafvollzug. Im vergangenen Jahr gaben die Vereinigten Staaten 35 Milliarden Dollar für das Gefängniswesen aus.

Mit Recht wurde der "Krieg gegen das Verbrechen", den die Regierung ausgerufen hat, als größtes Projekt US-amerikanischer Sozialpolitik in unserem Jahrhundert bezeichnet. Paradoxerweise sorgt also gerade die angebliche Kriminalitätsbekämpfung für Kriminalität: Die zunehmende Armut, aus der die sogenannte Kriminalität entsteht, gibt es unter anderem, weil Gefängnisse gebaut werden, um die Armen darin einzusperren.
Die schwarze Hochschullehrerin Angela Davis schreibt dazu:
"Afro- und latinoamerikanische, indigene und viele asiatische Jugendliche werden als Vertreter von Gewalt und Drogenhandel dargestellt, die voller Neid sind wegen der Güter, die sie nicht besitzen. Junge Afro- und Latinoamerikanerinnen werden der sexuellen Promiskuität geziehen, und es wird ihnen unterstellt, sie produzierten ungehemmt Babys und Armut. Kriminalität und abweichendes Verhalten werden rassistisch aufgeladen. Die Überwachung wird auf die schwarzen Communities konzentriert, auf Einwanderer, Arbeitslose, Schulabgänger ohne Abschluß, Obdachlose und generell all diejenigen, die einen immer kleineren Anspruch auf die sozialen Ressourcen geltend machen können. Ihr Anspruch verringert sich, weil Polizei und Strafvollzugssystem diese Ressourcen zusehends verschlingen. Der gefängnisindustrielle Komplex hat so einen Teufelskreis geschaffen, der die Armut derer vertieft, deren Verarmung durch Gefangenschaft angeblich ‚gelöst' wurde."
"Der Schwerpunkt der Regierungspolitik hat sich von der Sozialhilfe auf Kriminalitätskontrolle verlagert. Der Rassismus vertieft sich immer mehr in den ökonomischen und ideologischen Strukturen der US-Gesellschaft. Während sie sich gegen Förderprogramme für Minderheiten und zweisprachige Schulerziehung aussprechen, verkünden konservative Kampagnenführer das Ende des Rassismus. Sie behaupten, die Reste von Rassismus würden durch Dialog und Gesprächs-kreise beseitigt werden. Aber den gefängnisindustriellen Komplex werden Gesprächskreise über ‚Rassenbeziehungen' nicht abschaffen können - nährt er doch den in die tieferen Gesellschaftsstrukturen eingewobenen Rassismus und lebt von ihm."

Aber das Wegschließen von zwei Millionen meist armer Menschen ist nicht nur eine sozialpolitische Maßnahme. Das Gefängniswesen ist der am schnellsten wachsende Sektor der US-Industrie. Hier warten Milliardenprofite auf die Unternehmen - aber auch Städte, Gemeinden und Bundesstaaten profitieren von der Repressionsindustrie. Der Bau von Gefängnissen wird in so mancher unterentwickelten Gegend zum Grundstein wirtschaftlicher Entwicklung. Die Errichtung eines Knastes ist nicht nur ein Leckerbissen für die Bauindustrie, sondern auch für die Hersteller und Zulieferer sogenannter Sicherheitstechnologie - oft übrigens Technologien, die von Rüstungsunternehmen für das Militär entwickelt wurden und nun ihren Einsatz bei der Polizei und im Strafvollzugssystem finden. So ist die Repressionsindustrie mit der Rüstungsindustrie und dem Militär eng verwachsen. Einer der größten Rüstungsbetriebe der USA, Westinghouse Inc., beliefert auch einen großen Teil der Gefängnisse.
Eine Reihe von Strafanstalten wird von dem multinationalen Sicherheitsdienst Wackenhut Corporation betrieben. Das Unternehmen, das Niederlassungen in mehr als 50 Staaten hat, und dessen jährliche Einkünfte sich auf mehr als eine Miliarde Dollar belaufen, hatte sich seit den 70er Jahren vor allem auf Streikbruch und Anti-Terrorismus-Aktivitäten konzentriert. Die Liste seiner Verwaltungsratsmitglieder liest sich wie ein Who's Who des militärisch-industriellen Komplexes. So sitzen dort zwei pensionierte Luftwaffengeneräle neben einem Ex-Marine-Corps- Kommandanten, einem ehemaligen Leiter des FBI, einem früheren Leiter des Militärgeheimdienstes, dem früheren Direktor der CIA und seinem Stellvertreter und nicht zuletzt dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Benjamin Civiletti.

Es liegt auf der Hand, daß ein Konzern, der Profit erwirtschaftet, indem er Gefängnisse betreibt, kein Interesse daran hat, daß die Zahl der Strafgefangenen abnimmt. Auch so ist es zu erklären, daß die Zahl der Gefängnisinsassen seit Jahren rapide steigt, obwohl die Kriminalitätszahlen seit Jahren sinken. Steven Donzinger, Vorsitzender der Nationalen Strafjustiz-Kommission, sagt dazu: "Wenn die Kriminalität ansteigt, müssen wir mehr Gefängnisse bauen. Wenn die Kriminalität sinkt, dann deshalb, weil wir mehr Gefängnisse gebaut haben. Und deshalb wird die Kriminalität auch sinken, wenn wir noch mehr Gefängnisse bauen." Mittlerweile lebt ein ganzer Industriezweig von der Massenbestrafung. Damit sie aufrecht erhalten wird, ist er strategisch davon abhängig, daß rassistische Strukturen und Ideologien, die die Menschen ins Gefängnis bringen, fortbestehen - oder, besser noch, sich ausweiten. Angela Davis schreibt dazu: "Damit die Körper geliefert werden können, die für das gewinnorientierte Strafvollzugssystem bestimmt sind, beruht die politische Ökonomie der Gefängnisse auf rassistisch bestimmten Annahmen über Kriminalität - z. B. den Bildern von schwarzen Müttern, die Sozialhilfe einheimsen, um kriminelle Kinder großzuziehen - und auf rassistischen Mustern bei der Festnahme, der Verurteilung und den Strafmaßen. Die Körper von Afro- und Latinoamerikanerinnen und -amerikanern sind in diesem riesigen Experiment der Hauptrohstoff, um die sozialen Probleme unsrer Zeit verschwinden zu lassen. Entkleidet man aber diese angebliche ‚Lösung durch Einsperren' ihrer magischen Aura, kommen Rassismus, Klassenvorurteile und die parasitäre Abschöpfung kapitalistischer Profite zum Vorschein."
Auf verschiedenste Weise werden mit den Knastinsassen Gewinne erwirtschaftet. So prügeln sich die Telefongesellschaften geradezu darum, Strafanstalten mit Telefonanschlüssen zu versorgen. Sie geben den Gefängnisbetreibern, staatlich oder privat, Teile des Profits ab, sie installieren kostenlos Telefonabhöranlagen, sie zahlen hohe Provisionen. Warum? Die Gefängnisinsassen, die auf den telefonischen Kontakt zur Außenwelt angewiesen sind und sich ihren Telefonanbieter nicht aussuchen können, müssen bis zu fünfmal höhere Gebühren zahlen als die Menschen draußen. Es wird geschätzt, daß ein Häftling durchschnittlich 500 Dollar im Jahr fürs Telefonieren aufwenden muß. Bei zwei Millionen Gefangenen macht das eine Milliarde Dollar.
Aber auch die Arbeit der Gefangenen läßt sich nutzen. Die Zwangsarbeit von Häftlingen, die oft von Sklavenarbeit nicht mehr zu unterscheiden ist, hat in den Vereinigten Staaten Tradition. Im vorigen Jahrhundert wurden sie gezwungen, auf Plantagen zu arbeiten. Den Aufpassern trugen nicht nur Schußwaffen, sondern auch Peitschen, die sei bei Fehlverhalten der Häftlinge einsetzen durften.

In Tennessee wurden im Jahre 1892 bei einem Streik der Minenarbeiter Häftlinge gezwungen, als Streikbrecher Kohle abzubauen. Die Bergleute setzten dem aber ein Ende: Sie stürmten die Mine und befreiten die Strafgefangenen. All das scheint heute Geschichte zu sein. Doch die berühmten Chain Gangs - Gruppen von Zwangsarbeitern, die meist mit Fußketten aneinander gefesselt waren und zum Beispiel im Straßenbau schufteten - existierten noch bis in die 50er Jahre unseres Jahrhunderts ... und wurden vor vier Jahren, 1995, in Alabama und Arizona wieder eingeführt!
Dieses Jahr werden Häftlinge in den US-amerikanischen Gefängissen Güter im Wert von neun Milliarden Dollar produzieren. Oregon, dessen Verfassung alle Gefängnisinsassen zur Arbeit zwingt, macht öffentlich Werbung für seine Zwangsarbeiterheere. Übrigens mit dem Argument, daß auf diese Weise die Produktion im Lande bliebe, die sonst in Billiglohnländer abwandere. Kevin Mannix, Parlamentsabgeordneter in Oregon, nimmt kein Blatt vor den Mund: Im Oktober 94 forderte er Unternehmen auf, Verträge mit den Gefängnissen abzuschließen wie der Sportartikelhersteller Nike sie mit der indonesischen Regierung abgeschlossen hat. Nike zahlt seinen Arbeiterinnen und Arbeitern in Indonesien 1 Dollar 20 am Tag. "Wir finden, daß Nike sich die Transport- und Arbeitskosten noch einmal ansehen sollte", sagt Mannix. "Wir könnten Häftlingsarbeit anbieten, die da mithalten kann."
Tatsächlich liegt der Stundenlohn eines Häftlings meistens deutlich unter einem Dollar brutto. In Kalifornien etwa beträgt er 45 Cents. Bei einem 9-Stunden-Arbeitstag ergibt das einen stolzen Monatslohn von 60 Dollar netto. Zuweilen entspricht der Bruttolohn der Häftlinge auch dem gesetzlichen Mindestlohn. Dazu muß man allerdings wissen, daß der in den USA mittlerweile so niedrig liegt, daß jemand, der Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, ein monatliches Einkommen erwirtschaftet, das 50% unter der Armutsgrenze liegt. Von diesem Mindestlohn wird den Häftlingen oft noch bis zu 80% abgezogen - für "Kost und Logis", Gebühren und Opferentschädigung ... falls es Opfer gibt, denn die meisten Gefängnisinsassen sind verurteilt wegen Verbrechen, in denen es keine Opfer gibt, in aller Regel Drogenvergehen. In den meisten Bundesstaaten der USA ist die Häftlingsarbeit offiziell freiwillig. Tatsächlich müssen aber Häftlinge, die die Arbeit verweigern, längere Strafen absitzen - wie es ja auch in der Bundesrepublik üblich ist. Sie werden mit dem ganzen Arsenal an Bestrafungsmaßnahmen überzogen, das der Strafvollzug für widerspenstige Gefangene bereithält - bis hin zur Einzelhaft. Unter diesen, an Sklaverei grenzenden, Bedingungen geht die Arbeitsmoral gegen null.
Die Unternehmer sind trotzdem glücklich. Leonard Hill, Besitzer eines texanischen Zulieferbetriebes der Computerindustrie, der in einem privaten Gefängnis unter anderem für IBM, Dell und Texas Industries produziert, äußerte sich im Januar 1995 freimütig:

"Normalerweise, wenn du in der freien Wirtschaft arbeitest, melden sich die Leute krank, sie haben Probleme mit dem Auto, sie haben familiäre Probleme. Hier haben wir das nicht. Der Staat zahlt für die medizinische Versorgung. Und: Die Leute fahren bestimmt nicht in Urlaub."
Eve Goldberg und die US-amerikanische politische Gefangene Linda Evans kommentieren die Ausbeutung der Häftlinge so:
"Für Privatunternehmen ist Gefängnisarbeit eine Goldader. Keine Streiks. Keine gewerk-schaftliche Organisierung. Keine Krankenversicherungskosten, keine Arbeitslosenver-sicherung oder Ausgleichszahlungen für Arbeiterinnen und Arbeiter. Keine Sprachbarrieren wie im Ausland. Neue riesige, schreckenerregende Gefängnisfabriken werden auf Tausenden von Hektar innerhalb der Anstaltsmauern gebaut. Gefangene erledigen die Datenerfassung für Chevron, übernehmen Telefonreservierungen für TWA, züchten Schweine, schaufeln Dünger, stellen Computerteile her, Limousinen, Wasserbetten und Unterwäsche für Victoria's Secret - alles zu einem Bruchteil der Kosten der ‚freien Arbeit'."

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die zwei Millionen Häftlinge in den Vereinigten Staaten entweder Sklavenarbeit verrichten oder arbeitslos sind. In den Arbeitslosenstatistiken sind sie nicht mitberücksichtigt. Das amerikanische "Jobwunder" ist auch darauf zurückzuführen, daß Arbeitslose ins Gefängnis gesteckt werden. Der Kriminologe David Downes sagt:
"Wenn man die Gefangenschaft als eine Art versteckte Arbeitslosigkeit ansieht, steigt die Arbeitslosenquote für Männer um ein Drittel auf 8%. Die Auswirkungen auf die Arbeitslosenrate unter afroamerikanischen Männern sind sogar noch größer, statt 11% steigt die Arbeitslosenquote hier auf 19%."
Zahlen über inhaftierte Frauen und den Grad ihrer Ausbeutung sind nicht leicht zu bekommen. Wie in anderen Ländern auch, ist ihre Zahl bislang erheblich geringer als die der Männer. Es gibt aber einen Trend, verstärkt auch Frauen dem öffentlichen Bestrafungssystem zu unterwerfen. So bilden schwarze Frauen die am schnellsten wachsende Gefangenengruppe.
Auch in Deutschland frißt sich der Neoliberalismus und sein Privatisierungswahn bis ins Justizvollzugssystem. So wird schon seit Jahren der Abschiebeknast Büren von Wachleuten eines Sicherheitsunternehmens geschützt Allerdings müssen diese Privatschützer stets zusammen mit einem staatlichen Justizvollzugsbeamten ihre Dienste erledigen.
Die Konstruktion ist in einer rechtlichen Grauzone angesiedelt, denn mit der "Doppelstreife" wird das Gewaltmonopol normativ nicht angetastet, andererseits aber bereits faktisch unterhöhlt. Auch die Wahl der Vollzugseinrichtung "Abschiebehaft" offenbart strategisches Geschick: Denn die nichtdeutschen Gefangenen sind mit einer äußerst geringen Beschwerdemacht ausgerüstet. Auf diese Weise haben sich auch in den USA privat betriebene Gefängnisse etabliert: Um den Strom illegaler Einwanderer aus der Karibik und Zentralamerika unter Kontrolle zu bekommen, griff die US-Einwanderungsbehörde Mitte der achtziger Jahre als erste staatliche Institution auf private Hafteinrichtungen zurück.

Doch auch der Bau von Knästen lohnt die Investition. Und auch hier beginnt die deutsche Situation sich der nordamerikanischen anzugleichen. Die "Rohloff GmbH" etwa kann sich als das erste deutsche Spezialunternehmen für den Bau von Hafteinrichtungen bezeichnen. 1993 stellte die Firma die Justizvollzugsanstalt (JVA) Wuppertal für 200 Abschiebehäftlinge fertig, im gleichen Jahr die für 84 Abschiebehäftlinge angelegte JVA Glasmoor. In einem "Modularbauweise" genannten Verfahren stellt das Werk Container zu den benötigten Raumgrößen zusammen, die es verkauft oder vermietet. Diesen Weg geht auch "Held Consultants & Partner" aus Bergisch Gladbach. Zwar kann sie im Gegensatz zur "Rohloff GmbH" noch auf keine in Deutschland fertig-gestellten Haftanstalten verweisen, sondern lediglich auf Hausanlagen für Asylbewerber und Obdachlose.
Doch dafür beeindruckt "Held Consultants" mit einer Liste von in den USA erstellten Referenzbauten. Auch andere nordamerikanische Gefängnisfirmen klopfen seit einiger Zeit verstohlen an die Türen der deutschen Justiz. So hat sich die "Prison Corporation of America" schriftlich und umstandslos aus Washington an die Justizverwaltungen der Länder gewandt:
"Wir helfen Landesregierungen in Deutschland, um der auch in Zukunft steigenden Wachstumsrate der Kriminalität und besonders der Gewaltverbrechen, der Jugend- und Kinderkriminalität auch nur einigermaßen gewachsen zu sein. [...] Deshalb unterbreiten wir vertrauensvoll Ihrer Regierung unsere kompletten Anstalts-Projekte mit sehr günstigen und langjährigen Pachtverträgen und sehr speziellen Dienstleistungen."
Für den Fall eines Vertragsabschlusses hat die Gesellschaft angekündigt, eine "Deutsche Haft- Anstalten AG" mit Hauptsitz Deutschland gründen zu wollen.
Die Entwicklung liegt offen vor uns. Es liegt an uns, sie jetzt zu diskutieren und dagegen vorzugehen. Schon vor vier Jahren stand in einer deutschen Tageszeitung zu lesen:
"Eine gesunde Bestrafungswirtschaft braucht eine kranke Gesellschaft. Nur so bleiben ihre Aktienkurse stabil. Sollte sich also die Privatisierung der Bestrafung durchsetzen, braucht die Bundesrepublik Kriminalität mehr denn je - schon aus privatwirtschaftlichen Gründen."

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