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Dezember 2002
Rechte der Gefrangenen von Guantanamo

Infobrief / Republikanischer Anwaltsverein / Silke Studzinsky

Steht der Status Kriegsgefangener im Sinne der GK III den während des Afghanistankriegs gefangen genommenen Kämpfern, die nach Guantanamo verbracht wurden zu oder gehören sie zur Zivilbevölkerung iSd GK IV? Welche Verpflichtungen folgen aus der völkerrechtswidrigen Behandlung der Gefangenen für die Hohen Vertragsparteien des Abkommens, wenn seine Regeln nicht eingehalten werden?

In Guantanamo sind nach fast einem Jahr immer noch fast sechshundert Personen, die im Zusammenhang mit dem Krieg in Afghanistan gefangen genommen wurden, inhaftiert. Ihre Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht wissen, ob überhaupt und wenn ja welche Vorwürfe ihnen zur Last gelegt werden, Beweismittel werden vorenthalten, sie haben keinen Zugang zu VerteidigerInnen , weder eine Kontrolle der Haftbedingungen noch ein Beschwerderecht dagegen ist möglich; internationalen Menschenrechtsorganisationen wie amnesty u.a. wird der Zutritt verweigert. Das Internationale Rote Kreuz, das Zutritt in Guantanamo hatte, ist nicht befugt, öffentliche Stellungnahmen abzugeben.

Die USA bezeichnen die Gefangenen als „unrechtmäßige Kombattanten“, denen der Status als Kriegsgefangener nicht zukommt und die auch ansonsten nicht unter den Schutz der Genfer Konvention fallen. Nach der 3. Genfer Konvention, (Art 5 Abs. 2 ) ist jedoch jeder während eines bewaffneten Konflikts Gefangene bis zur endgültigen Feststellung, ob er Kombattant iSd Konvention ist, als solcher zu behandeln. Das gilt sowohl für vemeintliche Taliban wie auch mutmaßliche Al Quaida Angehörige. Jedoch selbst wenn man allen während des bewaffneten Konflikts in Afghanistan Gefangenen keinen Status als Kriegsgefangene zubilligen würde, zählen sie zur Zivilbevölkerung, die dem Schutz der 4.Genfer Konvention unterliegen (zur Frage des Status und der Rechte der Gefan-genen in Guantanamo: Kurth in ZRP, 2002, 404 ff; amnesty international, human rights watch, Audeoud in der fr. Ausgabe der Le monde diplomatique, April 2002, mit jeweils weiteren Nachweisen).

I. Welche Rechte sind bei der Verbringung der Gefangenen nach Guantanamo und durch ihre Behandlung dort verletzt, bei Anwendung der GK III?

Nimmt man an, die Betroffenen sind Kriegsgefangene nach der GK III, zumindest bis ein Gericht ihren Status endgültig geklärt hat, so verstößt bereits ihre Verbringung an einen anderen Ort gegen das dritte Genfer Abkommen. Als Kriegsgefangene müßten sie nach Beendigung des bewaffneten Konflikts frei gelassen werden (Art 118 GK III), es sei denn, ihnen werden konkrete Kriegsverbrechen vorgeworfen. Dann jedoch müssen sie wiederum als Beschuldigte behandelt werden, also erfahren, was ihnen vorgeworfen wird und die Möglichkeit haben, einen Verteidiger zu beauftragen und Akteneinsicht erhalten; ihre Namen müssen bekannt gegeben werden und Rechtsmittel gegen eine Verurteilung müssen zulässig sein (im einzelnen Art. 199 ff GK III). Die Gefangenen in Guantanamo wissen nach einem Jahr noch nicht einmal, was ihnen vorgeworfen wird, noch sind sie verteidigt.
Unter diesen Umständen verstößt das weitere Festhalten gegen humanitäres Völkerrecht und auch gegen sonstige Konventionen.
Aber auch ihre Unterbringung in Käfigen, die immer wiederkehrenden Verhöre, die stattfinden ohne jeglichen Zugang zu anwaltlichem Beistand, stellen eine menschenunwürdige Behandlung im Sinne der Genfer Konvention III dar und öffnen zudem Folter Tür und Tor. So werden z.B. pakistanische Staatsangehörige vom pakistanischen Geheimdienst verhört. Dieser ist bekannt für regelmäßige Folter, Schläge und Misshandlung von Personen, um Geständnisse zu entlocken. Im einzelnen ist völlig unbekannt, wie und von wem Verhöre durchgeführt werden. Die Gefangenen haben keine Möglichkeit ein Gericht anzurufen oder sich zu beschweren (amnesty 2.8.2002).

II. Zu welchen Konsequenzen führt dann eine völkerrechtswidrige Behandlung von Kriegsgefangenen durch die USA?

Art. 129 der GK III verpflichtet jeden Vertragsstaat im Falle von „schweren Verletzungen“ des Abkommens, die in Art. 130 GK III aufgeführt sind,
a. die Personen zu ermitteln, die schwere Verletzungen begangen haben oder den Befehl dazu erteilt haben
b. die Beschuldigten ungeachtet ihrer Nationalität vor ihre eigenen Gerichte zu stellen.
Auch kann einem anderen an der Verfolgung interessierten Staat der Beschuldigte übergeben werden. Zentraler Punkt ist, dass eine Verfolgung derjenigen Beschuldigten und ihrer Befehlsgeber stattfinden soll, die im Verdacht stehen, die Konvention verletzt zu haben. Dies ist eine unmittelbare Pflicht zur Strafverfolgung aus der GK III heraus. Schwere Verletzungen iSd Art. 130 GK III sind: vorsätzliche Tötung, Folterung, unmenschliche Behandlung, einschließlich biologischer Versuche, vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit der Gesundheit oder Entzug seines An-rechts auf ein ordentliches und unparteiisches Gerichtsverfahren entsprechend den Vorschriften dieses Abkommens.

Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die USA sind Hohe Vertragsparteien dieses Abkommens, so dass für beide Staaten die Pflichten und Rechte aus der Konvention gelten. Da die USA wie oben beschrieben die Gefangenen völkerrechtswidrig nach Guantanamo verbracht haben und dort wiederum entgegen humanitärem Völkerrecht behandeln, hat jeder andere Vertragsstaat, also auch Deutschland, die Verpflichtung, die Täter vor Ort und ihre Befehlsgeber zu ermitteln und vor eigene Gerichte zu stellen. Die Bundesrepublik hat in § 6 Nr. 9 StGB die unmittelbare Anwendung des deutschen Strafrechts festgelegt, wenn eine Verpflichtung aufgrund eines internationalen Abkommens besteht.

III. Welche Rechte sind bei Anwendung der GK IV verletzt?

Gehören die Gefangenen zur Zivilbevölkerung, so ist auch ihre Verschleppung nach Guantanamo gem. Art. 49 GK IV verboten und auch ihr dortiges Festhalten, ohne dass sie erfahren, was ihnen eigentlich vorgeworfen wird. Und auch hier gilt, dass ein wegen einer Straftat Beschuldigter unverzüglich erfahren muss, was ihm vorgeworfen wird, die Möglichkeit haben, sich verteidigen zu lassen oder einen Verteidiger beigeordnet zu bekommen, die Beweismittel zu erfahren und gegen eine Verurteilung Rechtsmittel einzulegen (im einzelnen Art. 71 ff GK IV). Angehörige der Zivilbevölkerung dürfen ebenfalls nicht unmenschlich behandelt, gefoltert, getötet werden (s. Art. 3, 27 ff. GK IV) so dass auch die ständigen Verhöre und die Art der Unterbringung verboten sind.

IV. Welche Folgen hat eine völkerrechtswidrige Behandlung der Zivilbevölkerung?

In der GK IV zum Schutz der Zivil-bevölkerung gibt es eine parallele Vorschrift wie in der GK III zum Schutz der Kriegs-gefangenen. Art. 146 der GK IV verpflichtet jeden Vertragsstaat im Falle von „schweren Verletzungen“ des Abkommens, die in Art. 147 GK IV aufgeführt sind: - die Personen zu ermitteln, die schwere Verletzungen begangen haben oder den Befehl dazu erteilt haben - die Beschuldigten ungeachtet ihrer Nationalität vor ihre eigenen Gerichte zu stellen Auch kann einem anderen an der Verfolgung interessierten Staat der Beschuldigte übergeben werden. Die schweren Verletzungen sind in Art 147 GK IV definiert und gehen sogar noch über die des dritten Abkommens hinaus.

Schwere Verletzungen sind danach u.a.:
- vorsätzliche Tötung, Folterung, unmenschliche Behandlung, vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit, rechtswidrige Verschleppung, rechtswidrige Gefangenhaltung oder Entzug des Rechts auf ein ordentliches und unparteiisches den Vorschriften des vorliegenden Abkommens entsprechenden Gerichtsverfahrens.

Sowohl die Bundesrepublik Deutschland und die USA sind Hohe Vertragsparteien dieses 4. Abkommens, so dass für beide Staaten die Pflichten und Rechte aus der Konvention gelten. Da die USA, wie oben beschrieben, die Gefangenen völkerrechtswidrig nach Guantanamo verbracht haben und dort wiederum entgegen humanitärem Völkerrecht behandeln, hat jeder andere Vertragsstaat, also auch Deutschland, die Verpflichtung, die Täter vor Ort und ihre Befehlsgeber zu ermitteln und vor eigene Gerichte zu stellen. Die Bundesrepublik hat in § 6 Nr. 9 StGB die unmittelbare Anwendung des deutschen Strafrechts festgelegt, wenn eine Verpflichtung aufgrund eines internationalen Abkommens wie z.B. der Genfer Konvention besteht. Als zu prüfende Tatbestände des materiellen Strafrechts kommen u.a. Freiheitsberaubung, Menschenraub, Nötigung und Körperverletzung in Betracht.
Es wird deutlich, dass es unter dem Blickwinkel der Konsequenzen der völkerrechtswidrigen Behandlung der in Guantanamo gefangenen Afghanistan Kämpfer unerheblich ist, ob auf sie die 3. oder 4. Genfer Konvention Anwendung findet. In beiden Fällen ist u.a. Deutschland verpflichtet, tätig zu werden und Ermittlungen auf zu nehmen.



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