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August 2003
Exterritorien und Lager
Juridisch-politische Räume im "War on Terrorism"
Nach neuesten Meldungen richten sich die USA in ihrem "Gulag" (The Guardian)
häuslich ein, für immer, wie es scheint: Das alte Camp X-Ray auf Guantánamo
ist zwar "nur noch ein Schrotthaufen" (Der Spiegel), aber die über 650
Gefangenen leben dort teils in den Camps 1 bis 4, teils im neu und in
Festbauweise errichteten Camp Delta. Die US Naval Base Guantánamo Bay auf
Kuba wurde Anfang 2002 weltweit bekannt, als die internationalen Medien über
die dort internierten mutmaßlichen Taliban-Kämpfer und Al-Qaida-Mitglieder
berichteten.
Die Bilder der gefesselten Gefangenen in orangefarbenen
Overalls mit Sicht- und Gehörschutz führten zu weltweiten Protesten von
Menschenrechtsorganisationen gegen die Haftbedingungen und warfen Fragen
nach dem Status der Gefangenen und der Geltung Internationalen Rechts auf
der Militärbasis auf. Guantánamo Bay ist ein Territorium unter der Kontrolle
der Vereinigten Staaten, auf dem jedoch kein US-Recht gilt. Insbesondere der
juristische Sonderstatus dieses exterritorialen Gebietes auf kubanischem
Boden wird von den USA im "War on Terrorism" instrumentalisiert.
Er ermöglicht es, den Gefangenen jeglichen Status rechtlicher Subjekte zu
verweigern. Betrachtet man die Geschichte und die wechselnden Funktionen der
seit 1903 bestehenden Marinebasis, wird deutlich, dass diese Nutzung die
gegenwärtige spezifische Ausprägung in einer Folge von jeweils
unterschiedlichen Logiken von Raum ist. 1902, nach dem Sieg der Vereinigten
Staaten im spanisch-amerikanischen Krieg, endete die spanische
Kolonialherrschaft auf Kuba mit der Besetzung der Insel durch die USA. Auch
nach dem Ende der Militärregierung befand sich Kuba noch in quasi-kolonialer
Abhängigkeit von den USA.
So konnten die Vereinigten Staaten Kuba eine Verfassung diktieren, die ihnen unter anderem sowohl die Möglichkeit militärischer Interventionen als auch die Einrichtung von
Kohleverladestellen und Marinestützpunkten einräumte. Unter diesen
ungleichen Bedingungen wurde 1903 ein Pachtvertrag über das Gebiet der US
Naval Base Guantánamo Bay abgeschlossen. Die Marinebasis, deren Lage an der
Südküste Kubas den USA ermöglichte, den karibischen Raum zu kontrollieren,
wurde als militärstrategischer Ort der US-Kriegs- und Handelsmarine
aufgebaut. Bis 1934 diente Guantánamo Bay so der Interventionspolitik der
Vereinigten Staaten: Von hier aus überwachten sie den ihrer Souveränität
unterstehenden Panama-Kanal, bereiteten darüberhinaus aber auch Invasionen
in zukünftige US-Protektorate wie Mexiko, Nicaragua und Haiti vor. In der
Folgezeit nahm die militärstrategische Bedeutung des Marinestützpunktes ab.
Während des pro-amerikanischen Batista-Regimes diente er zwar noch als
Zentrum logistischer Unterstützung und mit Beginn der kubanischen Revolution
1959 wurde von hier aus Kuba abgehört und infiltriert.
Mit der "Kubakrise" 1962 änderte sich allerdings die Funktion des Stützpunktes. Guantánamo Bay
erhielt eine neue Bedeutung als verortetes Symbol der USA auf feindlichem
kommunistischen Territorium. Es wurde zu einem Ort der direkten
Konfrontation zweier Systeme, an dem der jeweilige Machtanspruch inszeniert
wird. Das äußerte sich einerseits in einer Verstärkung der Grenze, die zu
einer der bestbefestigten der Welt ausgebaut wurde, aber auch in der
Rhetorik der jeweiligen Regierungen: Die Kennedy-Regierung benutzte die
Marinebasis als mögliches Pfand im Konflikt mit der Sowjetunion, Castro
hingegen sprach von Guantánamo Bay als einer Bedrohung Kubas, als eines
Ortes, an dem US-Aggressionen gegen Kuba ausgeübt werden. Die kubanische
Regierung betrachtet die US-amerikanische Präsenz auf Guantánamo als
illegale Okkupation, als Verletzung ihrer territorialen Integrität und
Souveränität. Seit der Revolution nimmt sie die Zahlung der Pacht nicht mehr
entgegen und fordert die Rückgabe des Gebietes. In der kubanischen
Verfassung von 1976 wurde schließlich der Vertrag über die Marinebasis
rückwirkend für illegal erklärt.
Anfang der 1990er Jahre, als Kuba mit dem Zerfall der Sowjetunion seinen wichtigsten Verbündeten und größten
Handelspartner verlor, wandelte sich die Bedeutung Guantánamos erneut. Die
Marinebasis dient den USA zwar weiterhin als Truppenübungsplatz, wird aber
nun vor allem aufgrund ihrer Exterritorialität und des damit verbundenen
rechtlichen Status von Nutzen. In gewissem Sinne funktionalisieren die
Vereinigten Staaten damit die von kubanischer Seite behauptete Illegalität
des Stützpunktes. Der Pachtvertrag über Guantánamo Bay gibt den USA die
faktische Kontrolle über kubanisches Gebiet und ermöglicht ihnen
gleichzeitig US-Recht auszusetzen, da nach ihrer Argumentation das
Territorium kubanischer Souveränität unterstehe. Diesen rechtlichen
Sonderstatus instrumentalisierten die Vereinigten Staaten erstmals Anfang
der 90er Jahre, als sie haitianische und kubanische Bootsflüchtlinge, die in
die USA gelangen wollen, auf offener See aufgriffen und nach Guantánamo
brachten.
Zwischen 1994 und 1996 wurden 50.000 Flüchtlinge in Lagern auf der
Militärbasis interniert. Da sich Guantánamo Bay nicht auf US-amerikanischem
Territorium befindet, hatten die Flüchtlinge hier kein Recht, Asyl für die
Vereinigten Staaten zu beantragen und wurden abgeschoben. Im "War on
Terrorism" erlangt der juristische Status Guantánamos eine über das
karibische Gebiet hinausgehende Bedeutung. Seit Januar 2002 halten die USA
auf der Militärbasis mutmaßliche Talibankämpfer und Al-Quaida-Mitglieder
gefangen. Die Häftlinge wurden anfänglich im sogenannten "Camp X-Ray"
festgehalten, einem temporären Lager unter freiem Himmel. Dieses besteht aus
aneinandergereihten 2,4 Meter auf 1,8 Meter großen käfigartigen Zellen, die
von Maschendraht umgrenzt und mit einem Metalldach bedeckt sind. Im April
2002 begann der Bau eines neuen, besser befestigten Lagers mit erweiterten
Kapazitäten.
Ungefähr 5 Meilen von "Camp X-Ray" entfernt, an der Südküste
des Stützpunktes auf einem Gelände, auf dem bereits 1993 die haitianischen
und kubanischen Flüchtlinge interniert waren, wurde "Camp Delta" errichtet.
Bereits Ende April wurden die Gefangenen von "Camp X-Ray" dorthin verlegt.
"Camp Delta" wird zur Zeit auf eine Kapazität von bis zu 2000 Inhaftierten
vergrößert. Gleichzeitig mit dem Bau des neuen Gefangenenlagers wurde für
Einheiten der US-Militärpolizei, die für die Bewachung der Inhaftierten
zuständig sind, das sogenannte "Camp America" errichtet. Während das
Kontrollpersonal von "Camp X-Ray" in Zelten auf einem Hügel in der Nähe des
Lagers untergebracht war, ist das Militär hier in Holzhäusern einquartiert
und mit Klimaanlage und warmem Wasser ausgestattet. Die Anlage, die für
einen längeren Nutzungszeitraum konzipiert ist, besitzt Telefon- und
Internetanschluss sowie Sport- und Freizeiteinrichtungen. Auch das neue
Gefangenenlager hat nichts mehr vom provisorischen Charakter des alten
Lagers.
In "Camp Delta" wurden nicht nur die Voraussetzungen für eine
unbefristete Internierung der Gefangenen geschaffen, sondern auch für deren
effektivere Kontrolle: Die einzelnen Zellen, die kleiner sind als im "Camp
X-Ray", werden durch drei feste Wände begrenzt. Die bessere sanitäre
Ausstattung mit Toiletten und fließendem Wasser hat aber auch den Sinn, dass
die Häftlinge ihre Zellen nicht mehr verlassen müssen. Auch wurden durch die
bessere Befestigung der Zellen in Camp Delta die Kommunikationsmöglichkeiten
unter den Gefangenen verringert. Darüberhinaus ist das Lager kaum von außen
einsehbar. Das Gelände des neuen Lagers ist wie auch "Camp X-Ray" von Zäunen
mit Stacheldraht begrenzt und von hölzernen Wachtürmen umgeben. Zusätzlich
gibt es jedoch einen Sichtschutz auf dem äußersten Zaun, der sowohl den
Blick der Gefangenen nach außen, als auch den Blick möglicher Beobachter
nach innen verhindert. Journalisten dürfen sich "Camp Delta" nur auf eine
Entfernung von 180 Metern nähern und können so nur auf die Dächer der Zellen
blicken.
Mittlerweile beläuft sich die Zahl der Inhaftierten in "Camp Delta" auf 650.
Ihnen wird weder der Status von Kriegsgefangenen, noch der von Zivilisten
zuerkannt. Die USA umgehen die Genfer Konventionen und damit internationales
Völkerrecht indem sie die Gefangenen willkürlich als "Unlawful Enemy
Combatants" definieren, denen keine verfassungsmäßigen Rechte zugestanden
werden: die Inhaftierten haben weder Anrecht auf anwaltliche Vertretung,
noch auf ein angemessenes Gerichtsverfahren und werden ohne Haftprüfung auf
unbestimmte Zeit festgehalten. Guantánamo Bays räumlich-juristischer
Sonderstatus ermöglicht es den USA, hier Recht neu auszulegen und neu zu
definieren. Guantánamo wird als Ort erkennbar, dessen konventionelle
militärstrategische Bedeutung sich verringert, der jedoch nach wie vor den
strategischen Interessen der USA dient. In Guantánamo Bay wird ein zunächst
auf die dortigen Gefangenenlager beschränktes paralleles Rechtssystem für
Terrorismusverdächtige geschaffen, dass mittlerweile auch außerhalb dieses
Territoriums Anwendung findet.
Giorgio Agamben: Ausnahmezustand und Lager
"Es bedarf einer Reflexion über den paradoxen Status des Lagers in seiner
Eigenschaft als Raum der Ausnahme: Es ist ein Teilstück eines Territoriums,
das außerhalb der normalen Rechtsordnung steht, das deshalb jedoch nicht
einfach ein äußerer Raum ist. Das darin Ausgeschlossene [...] ist
eingeschlossen durch seine eigene Ausschließung. Was auf diese Weise aber
vor allem in der Ordnung festgehalten ist, ist der Ausnahmezustand. Das
Lager ist also die Struktur, worin der Ausnahmezustand, über den entscheiden
zu können die Grundlage der souveränen Macht ist, auf Dauer realisiert
wird."
(Giorgio Agamben, Mittel ohne Zweck, S. 43)
In der Auseinandersetzung mit Giorgio Agambens Untersuchungen zum Verhältnis
von Souveränität, Ausnahmezustand und Lager wird auch Guantánamo Bays
Bedeutung innerhalb einer sich verändernden politischen Ordnung deutlich.
Agamben analysiert genau diesen neuen politischen Raum, der sich öffnet,
wenn das politische System des Nationalstaats in eine Krise gerät, und
untersucht die sich darin verändernde Funktionsweise von Macht. Es findet
eine Neudefinition des Verhältnisses zwischen Souveränität und Territorium
sowie der Beziehung von Recht und Raum statt. Die bisherige Struktur des
Nationalstaates, die sich auf den funktionalen Zusammenhang von drei
Elementen - der Rechtsordnung des Staates, dem entsprechenden Territorium
und der Zugehörigkeit der Staatsbürger zur jeweiligen Nation - gründet,
befindet sich in Auflösung. Agamben entwickelt aus der Untersuchung dieses
Prozesses ein Modell von Macht, das sowohl das juridisch-institutionelle,
also die Konzeption von Souveränität und Staat, als auch das biopolitische
Machtmodell, die Disziplinierung der Körper, vereint.
Zentral ist dabei der konstitutive Zusammenhang zwischen dem Ausnahmezustand als rechtlicher
Kategorie und dem Lager als dessen räumlicher Konkretisierung. Die
Fähigkeit, über den Ausnahmezustand, das heißt über die zeitweilige
Aufhebung der Rechtsordnung, zu entscheiden, stellt die Grundlage der
souveränen Macht dar. Der Souverän entscheidet sowohl über das geltende
Rechtssystem, als auch über seine Aufhebung. Die Suspension des Rechts - der
Ausnahmezustand - ist somit mittels der Entscheidungsmacht des Souveräns
schon Teil der rechtlichen Ordnung. Die Rechtlosigkeit ist dem Recht und der
Macht nicht nur inhärent, sie ist deren Voraussetzung. Der Ausnahmezustand
als abstrakt rechtliche Dimension bedarf jedoch des Ortes, an dem er konkret
wird. Dieser stellt für Agamben das Lager dar.
Im Lager erhält der Ausnahmezustand, der im wesentlichen eine zeitweilige Aufhebung der Ordnung
war, eine permanente räumliche Verortung. Lager sind Ausnahmebereiche
innerhalb eines Territoriums, die sich außerhalb des Geltungsbereichs des
Gesetzes befinden. Das Lager ist darüberhinaus der Ort, an dem die
biopolitische Dimension der souveränen Macht sichtbar wird. Hier greift sie
auf die internierten Subjekte zu. Indem sie ihnen - wie beispielsweise im
Flüchtlings- oder Gefangenenlager - jeglichen rechtlichen oder politischen
Status verweigert, reduziert sie diese auf ihre rein physische Existenz. Das
Lager ist der Ort der vollständigen rechtlichen Willkür und absoluten
Entscheidungsmacht des Souveräns. Indem Agamben darlegt, dass dieser
zeitweilige, oder territorial begrenzte Ausnahmezustand zur neuen Norm wird,
beschreibt er jedoch darüber hinausgehend das Lager als einen Ort, an dem
aus der dortigen Rechtlosigkeit heraus neues Recht geschaffen wird. Es ist
eine Art Katalysator, der die Aufhebung der Ordnung in eine neue permanente
räumliche und rechtliche Ordnung überführt.
Guantánamo Bay kann als Paradigma dieses neuen politischen Raumes des
Ausnahmezustands und Lagers angesehen werden. Es wirkt auf die von Agamben
beschriebene zweifachen Weise: als juristischer Raum, in dem die zeitweilige
Aufhebung der Ordnung in eine neue rechtliche Ordnung überführt wird und als
physischer Ort des Lagers, in dem die rechtliche Situation in einer
räumlichen Anordnung konkret wird. Ausgehend von Agambens Argumentation wird
jedoch auch deutlich, dass Guantánamo Bay als Exterritorium nicht mehr
einfach als ein äußerer Raum beschrieben werden kann. Guantánamo Bay ist
zwar ein Territorium außerhalb des Staatsgebietes und der Rechtsordnung der
USA, was die Aussetzung der rechtlichen Ordnung verhältnismäßig
widerspruchslos ermöglichte.
Es ist jedoch über die Entscheidungsbefugnis des Souveräns in den Machtbereich der Vereinigten Staaten eingebunden. So wird es auch möglich, dass Guantánamo Bay den USA als Testgebiet für eine
Ausweitung des in den Gefangenenlagern erprobten parallelen Rechtssystems
dient. Die dort eingeführte rechtliche Neudefinition des "Unlawful Enemy
Combatant" und die damit einhergehende Entrechtung der Gefangenen soll
zukünftig auch außerhalb Guantánamos Anwendung finden. Mit Guantánamo wurde
ein Beispiel dafür geschaffen, wie ein politisches System nicht länger
Rechtsnormen und Lebensformen in einem feststehenden Territorium ordnet,
sondern Exterritorialität als konstitutives Element des Machterhalts
eingesetzt wird. Exterritorialität bezeichnet als räumliche Kategorie Orte,
die sich wie Guantánamo Bay außerhalb eines Staatsgebietes und seiner
Rechtssprechung befinden, aber dennoch von der jeweiligen souveränen Macht
kontrolliert werden.
Die Aussetzung der Ordnung verwandelt sich von einer provisorischen Maßnahme in eine permanente Technik des Regierens. Durch den Machtzuwachs der Exekutive, die als souveräne Macht agiert, folgt hieraus
nicht nur der Verlust der traditionellen Trennung der Verfassungsformen,
sondern es wird die Entrechtung zum konstitutiven Element der neuen
Rechtsordnung. Der Ausnahmezustand, der sich in den verschiedenen Formen der
Exterritorialität manifestiert, wird zum neuen Regulator des politischen
Systems. Er wird neben Staat, Territorium und Nation zum vierten Element der
politischen Ordnung.
Military Order
"Die Grundbedeutung des Ausnahmezustands als einer ursprünglichen Struktur,
in der das Recht durch seine eigene Suspendierung das Lebendige in sich
einschließt, ist in aller Klarheit durch die military order deutlich
geworden, die der Präsident der Vereinigten Staaten am 13. November 2001
erlassen hat."
(Giorgio Agamben, in Lettre International )
Diese "Military Order" über "Detention, Treatment and Trial of Certain
Non-Citizens in the War Against Terrorism" weitete zwei Monate nach den
Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon die Machtbefugnisse
der Exekutive aus und stärkte ihre Souveränität. Bereits am 14. September
2001 hatten die beiden Kammern des Kongresses mit einem gemeinsamen
Beschluss, der "Authorization of Force Resolution", dem Präsidenten
weitreichende Sonderbefugnisse für militärische Maßnahmen eingeräumt. Unter
Berufung auf diese außerordentlichen Rechte griff die Bush-Administration im
sicherheitspolitischen Backlash des 9/11 auf eine Rhetorik des nationalen
bzw. globalen Ausnahmezustands zurück, um so die Aussetzung von in der
US-Verfassung verankerten Grund- und Freiheitsrechten zu legitimieren. Die
US-Regierung unterstellt mit dieser Military Order des Terrorismus
verdächtige Nicht-US-Bürger einer noch zu schaffenden Sondergerichtsbarkeit
außerhalb des zivilen Rechts.
Es handelt sich dabei um sogenannte Militärtribunale (Military Commissions), die in verkürzten Verfahren die
Rechte der Angeklagten stark einschränken. Der Souverän, ob nun die
Exekutive oder das souverän handelnde US-Militär, kann über den Status der
Personen entscheiden, die er als eine Gefährdung der nationalen Sicherheit
einstuft - unabhängig von ihrem Aufenthaltsort. In jedem Fall droht
mutmaßlichen Terroristen aber unbeschränkte Haft, bis der "War on Terrorism"
und damit der durch die "Military Order" formalisierte Ausnahmezustand für
beendet erklärt wird. Als eine weitere Maßnahme im erklärten Kampf gegen den
Terrorismus unterzeichnete George W. Bush bereits sechs Wochen nach den
Anschlägen am 26. Oktober 2001 das Gesetzpaket "USA Patriot Act" . Es ist
eine innenpolitische Maßnahme, die Staatsbürger, geduldete aber illegale
Bewohner der USA und Immigranten gleichermaßen betrifft. Durch den "USA
Patriot Act" wurden die Befugnisse der Regierung erweitert und gleichzeitig
die Möglichkeiten ihrer Kontrolle durch Gerichte und den Kongress
eingeschränkt.
Das nationale Anti-Terror-Gesetz ermöglicht nicht nur eine
schärfere Personenüberwachung und neue Informationsbeschaffung im Namen der
nationalen Sicherheit, sondern auch die willkürliche Inhaftierung
(detention) von Terrorismusverdächtigen. Die rechtsstaatlichen Garantien der
"due process"-Rechte und die im ersten "amendment" der Verfassung
festgeschriebenen Freiheitsrechte können so ausgesetzt werden. Zu dieser
Neuausrichtung des politischen Raumes der USA im Inneren und Äußeren gehört
auch die Auslagerung von Hafteinrichtungen auf Gebiete außerhalb der USA und
die Ausgrenzung von Gefangenen aus der US Gerichtsbarkeit, die beide in
Guantánamo Bay erprobt wurden. Seit dem 11. September 2001 wurden weltweit
rund 3000 mutmaßliche Al-Quaida-Mitglieder und Taliban-Kämpfer verhaftet.
Davon werden lediglich um die 650 Personen in Guantánamo Bay inhaftiert.
Über die Aufenthaltsorte der übrigen Gefangenen ist kaum etwas bekannt.
Guantanano Bay ist sowohl aufgrund seiner Geschichte und seiner räumlichen
Nähe zu den USA als auch durch die Berichte in den Medien ein
verhältnismäßig öffentlicher Ort. US-Repräsentanten, Journalisten sowie das
Internationale Komitee des Roten Kreuzes erhielten hier begrenzten Zutritt.
Nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten werden
auf der US Marinebasis Guantánamo Bay deshalb lediglich Personen
festgehalten, denen von Sicherheitsexperten und Militärs keine übermäßige
Bedeutung im Zusammenhang mit dem "War On Terrorism" zugesprochen wird, oder
deren Vernehmungen bereits abgeschlossen sind. Andere mutmaßliche
Terroristen, von denen vermutet wird, dass sie im Besitz wichtiger
Informationen sind, werden mittlerweile an entlegeneren und geheimeren Orten
gefangen gehalten und verhört.
Dies sind Orte wie weltweite Einrichtungen des US-Militärs oder verbündeter Geheimdienste, die einer öffentlichen Kontrolle weitgehend entzogen sind. Durch Berichte ehemaliger Gefangener und
US-Miltärs wurde jedoch bekannt, dass in einer abgeriegelten Zone auf dem
Luftwaffenstützpunkt Bagram in Afghanistan zur Zeit Gefangene festgehalten
und verhört werden. Bagram ist eines von mehreren Haftzentren, in denen die
Regeln amerikanischer Rechtssprechung für ordentliche Gerichtsverfahren
nicht greifen und an denen darüberhinaus die Möglichkeit besteht,
aggressivere Verhörmethoden als in Guantánamo Bay anzuwenden. Auch über das
sogenannte "Camp Rhino" in Afghanistan, den US-Stützpunkt auf Diego Garcia
und über das Kriegsschiff "USS Peleliu" liegen Informationen über ähnliche
Nutzungen vor. Darüberhinaus übergeben die Vereinigten Staaten Gefangene an
Geheimdienste von Staaten wie Marokko, Jordanien und Ägypten, in denen
Folter eingesetzt wird.
Durch diese Vorgehensweise, die von den USA als "Rendering" bezeichnet wird, vermeiden sie eine direkte Beteiligung an den brutalen Verhörmethoden, sichern sich aber ihre Ergebnisse. Manche Häftlinge
wurden sogar mit einer konkreten Frageliste überstellt, die die US-Ermittler
durch die Sicherheitsdienste der Drittstaaten beantwortet haben wollten. Die
Vereinigten Staaten planen auch im Irak, vier dauerhafte Militärstützpunkte
einzurichten . Dies entspricht der Strategie, das Netzwerk strategischer
exterritorialer Orte längerfristig auszuweiten.
USS-Peliliu, Bagram, Diego Garcia
Zu Beginn der Afghanistan-Operation "Enduring Freedom" im Oktober 2001, als
die USA die US Naval Base Guantánamo Bay und andere Orte noch nicht zu
Gefangenenlagern umfunktioniert hatten, griff die US-Administration auf das
Paradigma des Exterritoriums zurück: das Kriegsschiff. Dieses weist keine
fixe Position auf und stellt so kein fest verortetes Territorium im
nationalstaatlichen Sinn mit Grenzen und Identität dar, sondern ist vom
US-Militär überall flexibel einsetzbar. Im internationalen Gewässer genießen
Kriegsschiffe gemäß des "Internationalen Abkommen über die Hohe See" von
1958 ab einer Entfernung von zwölf Seemeilen vor der jeweiligen Küste
vollständige Immunität von der Hoheitsgewalt jedes anderen Staates als des
Flaggenstaates.
US-Kriegsschiffe unterstehen so nur der Souveränität des
US-Militärs. Nehmen die USA im "War on Terrorism" Terrorismusverdächtige
gefangen und bringen sie zur Internierung oder zum Verhör auf Kriegsschiffe,
unterstehen diese Gefangenen ausschließlich der Gerichtsbarkeit des
US-Militärs. Im Dezember 2001 wurden acht des Terrorismus verdächtige
Taliban und Al-Quaida-Mitglieder auf die "USS Peliliu" gebracht. Dieses
sogenannte "amphibious assault ship", eine Kleinversion eines
Flugzeugträgers, war damals vor der Küste Pakistans stationiert.
Kriegsschiffe wie die "USS Peliliu", die von ihren Übungsmanövern in die
arabische See abberufen wurden, nehmen nicht nur eine offensive Rolle in der
Kriegsführung der USA ein, sie dienen ihnen im anhaltenden "War on
Terrorism" auch als Haftzentren für mutmaßliche Terroristen. Ein anderes,
von jeglicher Öffentlichkeit abgeschottetes Gefangenlager der Vereinigten
Staaten befindet sich auf dem US-Militärstützpunkt Bagram in Afghanistan, 40
km nördlich von Kabul.
Der Militärflughafen Bagram wurde in den 1970er
Jahren von der sowjetischen Armee errichtet. Während der sowjetischen
Besatzung Afghanistans, 1979-1989, diente er als Truppenbasis und
Versorgungslager und stellte die Luftunterstützung in Kampfeinsätzen. Ende
2001 eroberten die USA den von den Taliban und der Nordallianz seit Jahren
umkämpften Flugplatz. Aus der sowjetischen Besatzungszeit bestehen zu diesem
Zeitpunkt neben der 3 km langen Landebahn lediglich noch drei große Hangars,
ein Tower und einige Lagerhallen.
Bagram wird seitdem vom US-Militär, britischen Einheiten und anderen
Koalitionstruppen genutzt und weiter zu einem dauerhaften Militärstützpunkt
ausgebaut. Es wurden Unterkünfte für 10.000 US-Soldaten errichtet und die
Landebahn ausgebessert. Befanden sich Anfang 2002 nur knapp 500 US-Soldaten
auf Bagram, sind dort im Juni desselben Jahres bereits 7.000 US-Soldaten und
multinationale bewaffnete Einheiten der Operation "Enduring Freedom"
stationiert. Die Soldaten sind in Zeltlagern untergebracht. Auf dem Gelände
befinden sich zudem eine Kantine, ein Postamt, eine Wäscherei, ein
Telefonzelt, sowie Freizeit- und Sporteinrichtungen und diverse Shops. Der
Tower aus der Sowjetzeit wurde zusätzlich zu seiner eigentlichen Funktion
zum Verwaltungszentrum ausgebaut. Zum Schutz des Stützpunktes wurden
Erdwälle, Minenfelder und Zäune errichtet. Um das Gelände wurde
darüberhinaus ein bis zu drei Kilometer breiter, stark bewachter
Sicherheitsgürtel gezogen.
Alle Siedlungen und Dörfer im Umkreis von 15 bis 20 km - diese Entfernung entspricht der Reichweite von Raketen und Minenwerfern - wurden militärisch gesichert und werden durch regelmäßige
Patrouillen kontrolliert. Zusätzlich zur Nutzung als Militärbasis dient der
Luftwaffenstützpunkt Bagram den Vereinigten Staaten aber auch als ein
Gefangenenlager, das jeglicher öffentlicher Kontrolle entzogen ist. Selbst
dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes wurde kein Zugang gewährt.
Bagram gilt als eines der wichtigsten Verhörzentren der USA. Zur Zeit werden
vermutlich zwischen 40 und 60 Häftlinge an verschiedenen Orten auf der Basis
festgehalten. Freigelassene Gefangene haben berichtet , in der Haft
sogenannten Stress- und Nötigungstechniken ausgesetzt geworden zu sein.
Diese Form der Folter besteht beispielsweise aus tagelangem Schlafentzug,
Dauerlärm oder der Verweigerung notwendiger Medikamente.
Die Häftlinge werden in Räumen mit permanentem grellem Licht oder völliger Dunkelheit
gefangen gehalten. Sie müssen in ermüdenden Körperhaltungen verharren und
werden geschlagen. Im Dezember 2002 wird bekannt, dass zwei der Häftlinge,
die zu Verhören im Luftwaffenstützpunkt Bagram festgehalten wurden, zu Tode
gekommen sind. Über die Personen und die Umstände ihres Todes ist nahezu
nichts bekannt.
Auch auf Diego Garcia (Karte unten), einer kleinen Insel im indischen Ozean
unter britischer Verwaltungshoheit werden auf einem US-Militärstützpunkt des
Terrorismus verdächtige Gefangene festgehalten und verhört. Die Insel liegt
völlig isoliert: in einem Umkreis von über 1.500 km befindet sich kein
weiteres Stück Land. Das unbewohnte 16 km lange Korallen-Atoll wurde im 16.
Jahrhundert von den Portugiesen entdeckt und später vom britischen
Kolonialreich annektiert. Für den Kokosnussanbau brachte die Kolonialmacht
Arbeiter auf die Insel. 1960, als sie Diego Garcia einer militärischen
Nutzung zuführen wollten, siedelten die Briten die damaligen Bewohner auf
die ca. 2.000 km weit entfernte Insel Mauritius um. 1965, als viele
ehemalige Kolonien Großbritanniens im Indischen Ozean die Unabhängigkeit
erlangen, wurden die bei Großbritannien verbleibenden Inseln, darunter auch
Diego Garcia, unter der Bezeichnung "British Indian Ocean Territory"
zusammengefasst.
Rechtlich betrachtet ist die Insel damit britisches
Territorium. Ein Repräsentant der britischen Regierung besitzt die lokale
Verwaltungshoheit und ist oberster Richter für alle Angelegenheiten, die
britischem Recht unterliegen. Ihm unterstehen die Zollbediensteten und
Polizeioffiziere sowie die Einheit der Royal Marines, die für den Schutz des
gesamten "British Indian Ocean Territory" zuständig ist. 1971 begannen die
USA auf der Insel militärische Anlagen zu errichten. Rechtliche Grundlage
ist ein vorerst bis 2016 befristeter, unentgeltlicher Pachtvertrag zwischen
Großbritannien und der USA. Dieser ermöglicht es den Vereinigten Staaten,
auf einem Teil der Insel einen Flottenstützpunkt und
Kommunikationseinrichtungen zu errichten.
Zunächst war nur der Bau einer
Funkstation, einer Schiffslandeanlage und einer kleinen Flugzeugstartbahn
geplant. Später wurden im Norden der Insel darüberhinaus Gebäude für das
Personal, mehrere Hangars und Lagerhallen erbaut. Die US-Soldaten wurden in
Zelten im sogenannten "Camp Justice" oder auf Frachtschiffen in der Lagune
der Insel untergebracht. Bis in die 1980er Jahren wurden die Einrichtungen,
zu denen ausschließlich das US-Militär Zugang hat, kontinuierlich ausgebaut:
die Hafenanlage wurde vergrößert und die Landebahn auf 4 km verlängert.
Mittlerweile ist Diego Garcia zu einem Haupt-Flottenstützpunkt der USA
ausgebaut geworden. Als sogenannter "Footprint Of Freedom" ist der
Stützpunkt für militärische Operationen im Indischen Ozean und Arabischen
Raum von großer Bedeutung. Während des ersten Golfkrieges 1990/1991 wurde
die Anzahl des auf Diego Garcia stationierten Militärpersonals verdoppelt
und die Insel für Kriegseinsätze intensiv genutzt. Diego Garcia war der
einzige US-Stützpunkt von dem aus direkte Luftangriffe geflogen wurden. Auch
in den letzten Jahren diente die Insel immer wieder als Basis für
Kampfeinsätze, beispielsweise gegen den Irak 1998 und gegen Afghanistan
2001.
Gegenwärtig halten die Vereinigten Staaten auf Diego Garcia
mutmaßliche Taliban-Kämpfer und Al-Qaida-Mitglieder gefangen. Berichten von
Menschenrechtsorganisationen zufolge werden dort ähnlich wie auch in Bagram
bei den Vernehmungen brutale Verhörmethoden angewandt. Da die Insel jedoch
zu Großbritanniens Territorium gehört, fordert "Human Rights Watch" von der
Britischen Regierung sicherzustellen, dass dort durch die USA keine
Menschenrechtsverletzungen stattfinden. In einem Brief an Tony Blair
argumentiert "Human Rights Watch", dass die Verpflichtung der Britischen
Regierung zur Verhinderung und zur strafrechtlichen Verfolgung von Folter
nach Internationalen Recht für das gesamte Territorium, das britischer
Rechtssprechung untersteht, gelte.
Guantánamo Bay, Bagram und Diego Garcia
haben als exterritoriale US-Militärstützpunkte eine jeweils eigene
Geschichte. Gemeinsam ist diesen Orten jedoch, dass sie zunächst vor allem
aufgrund ihrer militär- und geostrategischen Potentiale den USA von Nutzen
waren, auch wenn sie heute unterschiedlich stark für konventionelle
militärischen Einsätze genutzt werden. In besonderem Maße zeichnet sie aber
aus, dass sie gegenwärtig aufgrund ihrer Exterritorialität konstitutiver
Bestandteil einer neuen politischen Ordnung sind. An diesen Orten der
Ausnahme manifestiert sich die von Agamben beschriebene Aussetzung der
rechtlichen Ordnung.
Ihre Nichtzugehörigkeit zum Staatsgebiet der USA und
ihr daraus resultierender Sonderstatus im US-Recht ist für die Vereinigten
Staaten in Bezug auf die Nutzung dieser Militärstützpunkte als
Gefangenenlager und Verhörzentren im "War on Terrorism" ausschlaggebend.
Diese Internierungslager stellen Orte dar, die sich außerhalb des
US-amerikanischen Territioriums befinden und so als Manifestation des
Ausnahmezustands, also genau aufgrund dieser Herausgenommenheit den
politischen Raum der USA neu definieren. Einer öffentlichen Kontrolle
weitgehend entzogen, werden sie zu Orten des Auslagerns und Ausgrenzens.
Diese Exterritorien sind Instrumente der souveränen Macht, an denen sich
nicht nur die Hegemonie der USA äußert sondern ihr Einflussbereich ausgebaut
wird.
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