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26 July 2006
„Es droht eine Ungleichbehandlung”

Der Leiter des Kriminalwissenschaftlichen Instituts an der Uni Köln, Professor Michael Walter, warnt vor billigen Lösungen im Strafvollzug. Marianne Quoirin sprach mit ihm.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Professor Walter, viele Fachleute haben davor gewarnt, den Strafvollzug den Bundesländern zu übertragen. Warum fanden sie kein Gehör?

MICHAEL WALTER: Die Neuverteilung ist im Rahmen eines umfassenden Kompromisses ausgehandelt worden. Die Länder verfolgen in diesem Bereich vor allen Dingen fiskalische Interessen. Eine bessere Ausgestaltung des Strafvollzugs, die Rückfälle zu vermeiden hilft, ist aber mit Kosten verbunden.

Was spricht grundsätzlich gegen die Gesetzeskompetenz der Länder für den Strafvollzug?

WALTER: Seit der Reichsgründung von 1871 besteht ein ganz breiter Konsens darüber, dass drei Bereiche einheitlich zu regeln sind: das Strafrecht, das Strafverfahrensrecht und der Strafvollzug. Der Strafvollzug wird jetzt herausgebrochen. Das ist systemwidrig, weil die übrige Gesetzgebung für das Straf- und Verfahrensrecht, die den Strafvollzug vorstrukturieren, beim Bund bleibt. Angesichts der unterschiedlichen Leistungskraft der Bundesländer und des Zwangs zum Sparen, droht deshalb beim Strafvollzug eine weit reichende Ungleichbehandlung.

Was sind Ihre größten Befürchtungen?

WALTER: Alle Regelungen des geltenden Rechts, die mit bestimmten Standards verbunden sind, könnten aufgeweicht werden. Dazu zählt zum Beispiel das Ideal der Einzelunterbringung für Häftlinge - vor allem in der Nacht. Schließlich gehört zu einem vernünftigen Konzept der Freiheitsstrafe ein ebenso durchdachtes System der Vollzugslockerungen. Im Bundesrecht gibt es dafür bisher eine gute Basis, aber schon heute versuchen einige Bundesländer von dieser Linie abzuweichen, um einen harten Strafvollzug zu propagieren. Das soll der Sicherheit der Bevölkerung dienen, bewirkt aber genau das Gegenteil. Denn die Sicherheit wird nicht erhöht, sondern vermindert, wenn keiner weiß, wie sich Gefangene ohne schrittweise Vorbereitung auf die Freiheit nach der Haft verhalten. Es fehlen dann Kontrollen und die begleitenden Maßnahmen für den Übergang.

Hessen lässt als erstes Bundesland eine Privatfirma ein Gefängnis betreiben - aller Kritik der Experten zum Trotz. Fürchten Sie, dass andere diesem Beispiel folgen?

WALTER: Ja, das befürchte ich. Vor allem wenn das Konzept mit dem verlockenden Versprechen verbunden ist, Kosten zu sparen. Aber ich wage sehr zu bezweifeln, dass so die Kosten für den Strafvollzug mittel- und langfristig einzusparen sind. Nur anfangs kann man vordergründig Erfolge erzielen, weil man sagt: Wir brauchen keine Beamten mehr einzustellen. Kosten im Strafvollzug sind überwiegend Personalkosten. Und die hängen davon ab, wie gut ausgebildet das Personal ist. Unqualifiziertes Personal ist in einem so sensiblen Bereich wie dem Strafvollzug kaum zu verantworten.

[  ksta.de





26 July 2006
Vergeblich gewarnt

An Warnungen hat es nicht gefehlt. Kirchen, Gewerkschaften, Verbände der Juristen, ehemalige Justizminister des Bundes und der Länder wie fast alle namhaften deutschen Professorinnen und Professoren für Strafrecht und Kriminologen appellierten vergeblich an die große Koalition, die Zuständigkeit für den Strafvollzug beim Bund zu lassen. Hier eine Auswahl der kritischen Stimmen.

Ulrich Scharf, Vize-Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer: „Dass entgegen jeder rechtspolitischen Vernunft die Kompetenz im Strafvollzug als Verhandlungsmasse preisgegeben wurde, ist mehr als unverständlich. Es steht eine erhebliche Rechtszersplitterung in einem Bereich zu befürchten, in dem gleiche Standards und Rechtssicherheit in besonderem Maße erforderlich sind.“

Hartmut Kilger, Präsident des Deutschen Anwaltvereins: „Es darf keinen Flickenteppich beim Strafvollzug und keine Absenkung der Mindeststandards aus Kostengründen geben. Wenn in einzelnen Bundesländern populistische und wahltaktische Überlegungen die gesetzliche Gestaltung des hochsensiblen Strafvollzugs bestimmen, wären die Sicherheit und auch der verfassungsrechtlich verankerte Resozialisierungsauftrag gefährdet.“

Sabine Leutheusser-Schnarrenber ger , Ex-Bundesjustizministerin und FDP-Bundestagsabgeordnete: „Es fehlen überzeugende Sachargumente für die Zuständigkeit der Länder, denn die Rechtseinheit von »strafen« und »Strafe vollziehen« wird aufgebrochen. Es ist zu befürchten, dass ein wichtiges Ziel des Strafvollzugs, die Resozialisierung, aus den Gesetzen gestrichen wird.“

Wolfgang Ahrenhövel, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes: „Es besteht die begründete Befürchtung, dass in den Ländern sachfremde, weil wahltaktisch und fiskalisch motivierte Erwägungen den Ausschlag geben. Dieses würde die Sicherheit der Bevölkerung und auch den verfassungsrechtlichen Resozialisierungsauftrag gefährden.“

Klaus Jäkel, NRW-Landesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten:„16 Strafvollzugsgesetze in einer Republik - das wird angesichts der verschiedenen Verwaltungsvorschriften und zu erwartenden gerichtlichen Entscheidungen richtig teuer. Das ist ein Rückfall in die Kleinstaaterei, wo doch für ganz Europa eine Vereinheitlichung der Strafvollzugsstandards angepeilt wird.“ (quo)

[  ksta.de





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Länder planen Gesetz für Erziehung im Knast Föderalismusreform: Jugendstrafvollzug nicht mehr Bundessache Von Petra Wettlaufer-Pohl WIESBADEN. Noch in diesem Jahr will Hessen ein Gesetz vorlegen, das die Bedingungen für den Jugendstrafvollzug in Hessen regelt. Auch in Niedersachsen wird ein Gesetzentwurf vorbereitet, Details kann man dort noch nicht nennen. Ein wichtiger Baustein ist für Hessens Justizminister Jürgen Banzer (CDU) "die Zugangsdiagnostik". Gleich zu Beginn werde festgelegt, welchen sozialen, schulischen oder beruflichen Förderbedarf ein Jugendlicher habe, und ein individueller Förderplan erarbeitet. Zielvereinbarung heißt das Zauberwort für die Zeit im Knast, die derzeit 500 Jugendliche in Rockenberg und Wiesbaden absitzen müssen. Außerdem plant Banzer einen "Warnschussarrest", um zu verhindern, dass Jugendliche andere Strafen achselzuckend wegstecken. Karlsruher Urteil Möglich wird die Landesgesetzgebung, weil der Strafvollzug durch die Föderalismusreform künftig Ländersache ist. Und weil das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein eigenes Vollzugsgesetz für Jugendliche gefordert hat. Bundesweit sitzen rund 7000 Jugendliche ein, doch jahrzehntelang weigerten sich die Länder, bundesgesetzliche Regelungen zu akzeptieren. Denn sie müssen den Vollzug bezahlen. Die Nase vorn hat nun aber nicht Hessen, sondern Baden-Württemberg und Bayern. In ihren fertigen Gesetzentwürfen steht wie in Hessen im Wesentlichen die Erziehung im Vordergrund: "Viele jugendliche Straftäter", so der Stuttgarter Justizminister Ulrich Goll (FDP), "haben von Erziehung noch nichts gehört." Einen Entwurf hat auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) vorgelegt. Ihre bayrische Kollegin Beate Merk allerdings entdeckt darin jedoch "Landschulheim-Vorstellungen". Zypries dagegen betont, auch ihr Grundsatz heiße "Fördern und Fordern". Kritiker befürchten, dass es den Ländern letztlich um den billigsten Vollzug gehen könnte. Banzer dagegen verweist auf die Rechtsprechung, die bereits viele Mindeststandards festgelegt habe. STANDPUNKT 10.07.2006 http://www.hna.de/politikstart/00_20060710222030_Laender_planen_Gesetz_fuer_Erziehung_im_Knast.html
14 July 2006
»Weniger Therapie, weniger Personal, mehr Wegsperren«

Durch Föderalismusreform rückt im Strafvollzug das Ziel der Resozialisierung in den Hintergrund. Ein Gespräch mit Volker Ratzmann

Volker Ratzmann ist Fraktionsvor­sitzender von Bündnis90/Die Grünen im ­Berliner Abgeordnetenhaus

Sie haben die Auswirkungen der Föderalismusreform auf den Strafvollzug und das Versammlungsrecht kritisiert. Worin besteht das Problem?

Künftig wird jedes Bundesland selbst per Gesetz regeln, unter welchen Bedingungen Leute im Knast leben müssen und unter welchen Bedingungen demonstriert werden darf. Bisher galt als Priorität für alle Knäste in der Bundesrepublik: Wenn jemand eingesperrt wird, dann soll er oder sie im Knast resozialisiert werden. Hamburg hat schon angekündigt, daß es dort zukünftig in erster Linie um Sicherheit geht – keine Vollzugslockerungen, weniger Therapie, weniger Personal, mehr Wegsperren. Entscheidend wird die Kassenlage sein.

Mal sehen, was sich die Bundesländer zur Vermeidung von Demos einfallen lassen. Demofreie Zonen werden ja schon lange diskutiert.

Finanzierung und Durchführung des Strafvollzuges waren bisher schon Ländersache. Ändert sich wirklich so viel?

Wenn man den Ankündigungen von Hamburg, Bayern und Niedersachsen glauben darf, wird sich eine Menge ändern. Alles wird sich um Kostenreduzierung und erhöhte Sicherheitsstandards drehen. Ich befürchte, daß beispielsweise die Doppelbelegung zur Standardunterbringung gemacht wird, daß die Vollzugsplangestaltung noch restriktiver wird und daß das Gesetz die Ausgestaltung des Vollzuges eben an Sicherheit und nicht an Resozialisierung ausrichtet. Bisher hat nicht jeder spektakuläre Fluchtversuch zu einer Gesetzesverschärfung geführt. Der Bundesgesetzgeber ist zu schwerfällig, um gleich jede populistische Wegsperrparole umzusetzen. In den Ländern wirkt das direkter. Nicht umsonst ist ja auch das Strafgesetzbuch ein Bundesgesetz. Strafe muß einheitlich vollzogen werden.

Aber haben die Länder nicht auch bisher ihren eigenen Vollzug gemacht?

Nein, bisher waren sie gezwungen, sich auch über bundeseinheitliche Rechtsprechung am gesetzlich fixierten Ziel der Resozialisierung auszurichten. Das ist nicht in allen Ländern optimal gelaufen, aber es gab immerhin ein einheitliches Rechtsmittelsystem, mit dem sich jeder Gefangene wehren konnte. Und genau das ist jetzt in Gefahr.

Gibt es also bald für jedes Bundes­land ein eigenes Strafvollzugsgesetz?

Die Gefahr besteht, wobei ich vermute, daß die Länder versuchen werden, gemeinsame Eckpunkte zu formulieren. Wir Grünen werden das auch tun und versuchen, in den Landtagen bzw. im Abgeordnetenhaus das umzusetzen, was bisher im Strafvollzugsgesetz stand. In Berlin werden wir so schnell wie möglich alle am Strafvollzug Interessierten – Verbände, Richter, Staatsanwälte, Verteidiger – zur Diskussion über ein neues Strafvollzugsgesetz einladen.

Werden die Strafvollstreckungskammern auch künftig über die Einhaltung der Regelungen wachen.

Ja, das ist grundgesetzlicher Standard, daß das eingehalten werden muß.

Demzufolge entscheidet das Bundesverfassungsgericht weiterhin über die Verfassungsmäßigkeit des Strafvollzuges?

Auf jeden Fall. Auch das ist von den Ländern nicht einschränkbares Grundrecht, das jedem Gefangenen zusteht.

Wann ist mit einem neuen Berliner Strafvollzugsgesetz zu rechnen?

Sehr schnell zu Beginn der neuen Legislaturperiode. Vor allem muß man dann die Möglichkeit ergreifen, ein Jugendstrafvollzugsgesetz und ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz auf den Weg zu bringen.

Welche Chancen sehen Sie, sich in Berlin mit einem halbwegs resozialisierungsfördernden Strafvollzugsgesetz durchzusetzen?

Da wir davon ausgehen, an der nächsten Regierung in Berlin beteiligt zu sein, wird die Umsetzung eines ausschließlich am Ziel der Resozialisierung orientierten Strafvollzuges Bestandteil Berliner Regierungspolitik sein. Für uns wird das eine der wesentlichen Aufgaben der Justizpolitik in der Stadt sein.

Mit Volker Ratzmann als Justizsenator?

Erst gewinnen wir die Wahl, dann einigen wir uns über die notwendigen Reformen, und dann bestimmen wir die Grünen Personen, die sie umsetzen sollen.

[  jungewelt.de





14 July 2006
Debatte um Stellenwert der Sicherheit

Tagung: Beim 7. Weiterstädter Fachtag an der JVA geht es ums Thema Resozialisierung von Strafgefangenen

WEITERSTADT. „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“ So steht es in Paragraf 2 des 30 Jahre alten Strafvollzugsgesetzes. Er räumt der Resozialisierung einen hohen Stellenwert ein. Dass dies in Folge der Föderalismusreform nicht so bleibt, fürchten Fachleute. Dies wurde beim 7. Weiterstädter Fachtag deutlich, einem Forum für alle, die mit Inhaftierten, Haftentlassenen und Probanden (auf Bewährung Entlassenen) zu tun haben – zum Beispiel Richter, Anstaltsleiter, Psychologen, Bewährungshelfer und Sozialarbeiter. Rund 80 Teilnehmer kamen dazu in den Sozialraum der JVA Weiterstadt.

Das Bundesgesetz zum Strafvollzug habe sich grundsätzlich bewährt, sagte Ekkehard Hofmann vom Förderverein Ausblick, der die Tagung organisierte und der den Häftlingen in Weiterstadt Hilfe dabei bietet, sich auf ein Leben nach dem Gefängnis vorzubereiten. Nun aber wolle das Land, wenn es für den Strafvollzug zuständig werde, der Sicherheit mindestens den gleichen Rang einräumen wie dem Resozialisierungsziel.

Durch die Entscheidung, den Strafvollzug zur Ländersache zu machen, drohe ein Bruch der Rechtseinheit, befürchteten Kritiker der Reform. Es sei zu fragen, ob ein „Verwahrvollzug“ drohe.

Der frühere Anstaltsleiter Peter Höflich von der Fachhochschule Cottbus betonte, dass eine Änderung der Prioritäten eigentlich nicht nötig sei, denn „in der Praxis existiert der Gegensatz nicht“ zwischen Resozialisierung und allgemeiner Sicherheit, sagte er. Behandlung der Strafgefangenen und Sicherheit gehörten zusammen, bildeten keinen Kontrast. Sicherheit sei schließlich nicht nur durch technische Maßnahmen wie Mauern, Zäune, Alarmmelder und -pläne zu bekommen. Soziales Training, Therapie, Förderung von Kompetenzen und Bildung gehörten ebenso dazu. Das bedeutet auch Vollzugslockerungen. Es müsse bei der Lebenslage der Häftlinge angesetzt werden – auch noch nach dem Gefängnisaufenthalt –, um mehr Sicherheit zu erlangen. Höflich betonte den Wert der sorgfältigen Entlassungsvorbereitung, der Zusammenarbeit von Vollzugs- und Bewährungshilfe.

Dies bedeute, dass geeignete äußere Bedingungen vorhanden sein müssten, um im Strafvollzug die Fähigkeiten und den Willen zu einer verantwortungsbewussten Lebensführung zu stärken. Dieses verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot lasse sich nicht durch längere Haftzeiten und weniger Betreuung erreichen, bezog sich Peter Höflich auf Äußerungen von führenden Politikern in Hessen, die manche Gruppen von Strafgefangenen als nicht behandelbar bezeichneten und härtere Strafen forderten. Zudem hätten auch lebenslänglich Inhaftierte Persönlichkeitsrechte.

Um das Vollzugsziel Resozialisierung drehten sich auch weitere Vorträge des Fachtags, gehalten von einem weiteren Anstaltsleiter a.D., einem Gefängnisseelsorger, einer Richterin oder einer Rechtsanwältin von der Vereinigung der Hessischen Strafverteidiger. Gert Linz, Vorsitzender des Fördervereins Ausblick, hatte zu Beginn dargelegt, dass die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft eine mehrere hundert Jahre lange Geschichte hat.

[  echo-online.de





7.July 2006
Bundesrat stimmt Föderalismusreform zu

Eine Woche nach der Abstimmung im Bundestag hat heute der Bundesrat mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit der Föderalismusreform zugestimmt. Damit überlässt der Bund den Ländern die Alleinzuständigkeit u. a. für die Besoldung und Versorgung der Beamten und auch für den Strafvollzug.

Mit 62 von 69 möglichen Stimmen votierte die Länderkammer für die Föderalismusreform. Nur Mecklenburg-Vorpommern lehnte das Gesetz ab, und Schleswig-Holstein enthielt sich der Stimme.

Von einem »großen Fortschritt in die richtige Richtung« sprach NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers: »Der Trend zu mehr Zentralismus, Ineffizienz und Intransparenz wird heute umgekehrt«, sagte er. Künftig gelte für wichtige Bereiche: »Landesrecht bricht Bundesrecht«.

dbb-Chef Peter Heesen sagte nach der Abstimmung in Berlin: »Damit werden die Weichen gestellt für mehr Bürokratieaufbau. Niemand kann uns erklären, wie 17 unterschiedliche Dienstrechte in Bund und Ländern den öffentlichen Dienst moderner, effizienter und bürgerfreundlicher machen. Ganz im Gegenteil: Sie werden den Verwaltungsaufwand potenzieren, zu mehr Bürokratismen führen und die Mobilität der öffentlich Bediensteten einschränken.« dbb und BSBD haben seit langem vor den Negativfolgen dieser Verlagerung von Kompetenzen von Bund und Ländern gewarnt.

»Auch für den Strafvollzug werden nun die Weichen neu gestellt«, so BSBD-Landesvorsitzender Klaus Jäkel heute in Düsseldorf gegenüber der Presse. »16 Strafvollzugsgesetze in einer Republik – das ist in der Tat ein Novum.« Mit Blick auf die hinzukommenden verschiedenen Verwaltungsvorschriften und gerichtlichen Entscheidungen wies Jäkel weiter darauf hin: »Das hier ist eine Entscheidung entgegen jeder rechtspolitischen Vernunft! Es ist zu befürchten, dass in einem hochsensiblen Bereich der Inneren Sicherheit nun eine Rechtszersplitterung entsteht, in dem doch in besonderem Maße gleiche Standards erforderlich sind.« Und weiter: »Wie wird wohl das Ausland die Verlagerung der Zuständigkeiten im Hinblick auf die angestrebte Vereinheitlichung der Strafvollzugsstandards in Europa bewerten?«

Fazit: Es steht zu befürchten, dass nun die Ansprüche der Gefangenen auf Weiterbildung während der Strafzeit, auf Sozialtherapie, Ausführungen, soziale Hilfen und auch an ihre Unterbringung einer restriktiveren Gangart zugeführt werden. Auch werden der angeblich kostengünstigere Verwahrvollzug und die für die Staatsbürger – jederzeit belegbar – wesentlich kostenintensivere Privatisierung in verstärktem Maß auf die Tagesordnung gesetzt und ggf. durch neue gesetzliche Regelungen abgesichert werden. Jäkel gab seiner Hoffnung Ausdruck, die in NRW von Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter gegebene Zusage hinsichtlich einer Fortsetzung des bewährten Resozialisierungsvollzuges werde eingehalten. NRW hat nun die Chance, in dieser Hinsicht wieder an frühere Zeiten anzuknüpfen, als der damalige NRW-Justizminister Dr. Dr. Neuberger den NRW-Strafvollzug als Musterbeispiel der Resozialisierung an die Spitze der Bundesländer führte.

[  bsbd-nrw.de





5 July 2006
Wettbewerb für härtere Knäste
Föderalismusreform und Strafvollzug

So viel Lust an feinsinnigem Spott hätte man der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) gar nicht zugetraut. In einem Interview zur Förderalismusreform forderte sie, die Bundesländer sollten in einen »Wettbewerb um den besten Strafvollzug« eintreten. Die Reform macht den Strafvollzug zur Ländersache. Die Ministerin weiß selbstverständlich, dass ihr Appell keinesfalls zur Initiative »Justiz forscht« oder zum innovativen Konzept »Schönerer Knast« führen wird. In naher Zukunft wird es stattdessen viel Lärm um das Vollzugsziel geben. Es ist ein Überbleibsel aus den siebziger Jahren, als nicht der Föderalismus, sondern die Gesellschaft reformiert werden sollte. Im Strafvollzugsgesetz ist bemerkenswert klar formuliert: »Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.«

Wenn auch nicht als Ziel, so wird doch der »Schutz der Allgemeinheit« im heute noch geltenden Bundesgesetz als weitere zentrale Aufgabe des Strafvollzugs erwähnt. Den Bundesländern war und ist das zu wenig. Sie haben deshalb bereits im Jahr 2003 über den Bundesrat ein Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Sollte das Bundesverfassungsgericht diesem Plan zustimmen, würde man dem populistischen Zeitgeist folgen und die Sicherheitsinteressen aufwerten. Der Schutz der Allgemeinheit würde zum Ziel des Strafvollzugs erklärt werden. Der Begründung des Gesetzesentwurfs zufolge soll er sogar Vorrang vor der Resozialisierung haben.

In der nächsten Zeit werden sich die Probleme allerdings weniger aus dem Bemühen der Bundesländer ergeben, die »Sicherheit« von der Aufgabe zum Ziel aufzuwerten. Schon heute ist die »Resozialisierung« der Gefangenen nur noch auf dem Papier das Ziel des Strafvollzugsrechts. Und für die Zukunft haben die Bundesländer finanzielle Interessen: Der Strafvollzug soll billiger werden.

Zur Disposition stehen damit so kostenträchtige Ansprüche der Gefangenen auf Weiterbildungsmöglichkeiten in der Haftzeit, auf Sozialtherapie, Ausführungen, soziale Hilfen und sicher auch die Unterbringung in Einzelzellen. Stattdessen werden der kostengünstige Verwahrvollzug und die Privatisierung in verstärktem Maß auf die Tagesordnung gesetzt und durch neue gesetzliche Regelungen abgesichert werden.

Dass es so zu einem Gefälle zwischen den Ländern kommen könnte und die oft beschworene Kleinstaaterei Einzug in Deutschland hält, ist mit dem Blick auf den Strafvollzug die geringere Gefahr der Föderalismusreform. Schon jetzt liegen die Verwaltungsregelungen für den Vollzug in der Hand der Länder. Deshalb hat ein Gefangener in Schleswig-Holstein bessere Chancen, Hafterleichterungen zu erleben, als einer in Bayern.

Schlimmer wäre es, wenn die Bundesländer ihre neuen Kompetenzen künftig nutzen würden, um einen Standard zu etablieren, der im Ergebnis verblüffend einheitlich und aus der bürgerrechtlichen Perspektive sehr niedrig sein dürfte. Eine erste Probe ihres Eifers, Gesetze zum Strafvollzug zu erlassen, werden die Bundesländer möglicherweise auf einem ganz besonderen Gebiet geben müssen. Im Jugendstrafvollzug haben sie sich in der Vergangenheit eher bemüht, die Entwicklung gesetzlicher Regelungen zu verhindern. Das Bundesverfassungsgericht hat den Ländern in einem Beschluss vom Mai 2005 bis zum Ablauf des Jahres 2007 Zeit gegeben, in diesem Bereich gesetzliche Regelungen zu schaffen.

Da gerade das Jugendstrafrecht vielen konservativen Ministerpräsidenten zu liberal erscheint, werden sie diese Möglichkeit kaum ungenutzt verstreichen lassen. Im Jugendstrafvollzug könnte bald der harte Ton der Bootcamps herrschen: »Zero Tolerance« statt »Schönerer Knast«!

[  jungle-world.com





2 July 2006
Föderalismusreform
Die relative Gerechtigkeit

Der Strafvollzug wird Ländersache – faktisch ist er es längst. Ob einem Häftling in Deutschland Lockerungen zugestanden werden, hängt von ihm selbst, noch mehr aber vom Bundesland ab.

Herr T. trägt an diesem Nachmittag über einer blauen Jogginghose seine Vergangenheit am Körper. Er sitzt vor einer heruntergelassenen Jalousie, er hat sich ein T-Shirt mit den Buchstaben „JVA DA“ angezogen, was für Justizvollzugsanstalt Darmstadt steht, und er hat schon viel geredet an diesem Nachmittag. Es ist nicht einfach gewesen, ihm dabei zuzuhören, weil sich seine Sätze immer wieder im Nichts verloren haben, seine Stimme ist leiser geworden, die Augen sind zugefallen, bis nur noch eine Art Brummen zu hören war und am Ende gar nichts mehr.

Alle paar Minuten ist das so gegangen. Herr T. ist dann hochgeschreckt, es müsse an den Beruhigungsmitteln liegen, hat er gesagt. Zwei Tage später wird ein Arzt feststellen, dass Herr T. schon am Tag vor dem Gespräch einen Herzinfarkt erlitten hat, drei Monate, nachdem er endlich freigekommen ist. Die 18 Jahre davor hatte er im Gefängnis verbracht.

Herr T., geboren im Jahr 1948, aufgewachsen innerhalb von etwas, das er „kleinbürgerliches Milieu“ nennt, hat seit seiner Geburt ein verkümmertes Bein, er trug schon als Kind eine Prothese. Er ging zur Schule, danach wurde er Kaufmann, und nun ging es ihm darum, möglichst schnell zu möglichst viel Geld zu kommen und damit Dinge zu kaufen, die möglichst viele sehen konnten. Schnelle Autos, zum Beispiel.

Zum ersten Mal verurteilt wegen Betrugs wurde er 1973, eineinhalb Jahre später dann noch einmal, es blieb bei Geldstrafen. Fünf Jahre danach gab es die erste Freiheitsstrafe, zehn Monate auf Bewährung, im Oktober 1983 folgten wegen Betrugs in zwei Fällen zwei Jahre und neun Monate Haft. Herr T. sagt dazu an diesem Nachmittag nicht viel, vor allem nicht zu seinen Fehlern. Er spricht vor allem von Fehlern anderer. Er spricht wie so viele Menschen, die betrogen haben.

Alles abgesessen

Nach der ersten Haft ging es weiter, Herr T. verstieß gegen das Berufsverbot, das die Richter verhängt hatten. Zusammen mit einem Partner kaufte er Immobilien, ohne verbindliche Kreditzusagen zu haben. Er blieb den Verkäufern die Provision schuldig, es ging um viel Geld, und am Ende verurteilte ihn das Landgericht Kassel zu siebeneinhalb Jahren Haft und zehn Jahren Sicherungsverwahrung. Die Richter meinten, die Gesellschaft müsse vor dem Betrüger T. geschützt werden, und er hat alles abgesessen, in Kassel und in Darmstadt, bis zum letzten Tag. Herr T. ist nie in den offenen Vollzug gekommen, er hat keinen Hafturlaub und keinen unbegleiteten Ausgang bekommen. Er ist vor drei Monaten in diese Gesellschaft zurückgekehrt, ohne darauf auch nur ein bisschen vorbereitet zu sein.

Nun könnte man es sich einfach machen und diese Geschichte einen Einzelfall nennen, doch so einfach ist die Sache nicht. Man sollte sie besser ein Symptom nennen, einen Auswuchs jener Entwicklung, die am Freitag im Bundestag zu ihrem vorläufigen Ende gekommen ist. Der Bundestag hat nun die Reform des deutschen Föderalismus beschlossen und damit auch des Strafvollzugs: Stimmt am kommenden Freitag auch der Bundesrat zu, kann das Strafvollzugsgesetz fortan durch Landesrecht ersetzt werden oder, so sagt es Johannes Feest, Rechtsprofessor an der Universität Bremen: „Man muss befürchten, dass es künftig nach dem gleichen Strafgesetzbuch höchst unterschiedliche Bestrafungen geben wird, sowohl, was die Länge als auch, was die Qualität betrifft.“

Kritik der Richter und Rechtsanwälte

Die Berufsverbände der Richter und der Rechtsanwälte haben sich gegen die Reform ausgesprochen, außerdem der Verband der Anstaltsleiter und viele Wissenschaftler. Wolfgang Lesting, Richter am Oberlandesgericht Oldenburg, sagt: „Die Länder werden sich anschauen, was die jeweils anderen machen. Und dann wird es sehr schnell heißen: ,Die da drüben sparen, also müssen wir auch sparen.‘ Auf der Strecke bleiben wird vor allem die Resozialisierung.“

Nun ist es aber eben nicht so, dass am Freitag etwas vollkommen Neues begonnen hätte. Der Rechtsprofessor Feest sagt dazu: „Die Föderalismusreform legalisiert für den Strafvollzug eine Entwicklung, die schon seit Jahren im Gange ist.“ Um sie zu verstehen, muss man sich das Strafvollzugsgesetz ansehen. Es stammt aus dem Jahr 1976, und der Kern dieses Gesetzes ist der Gedanke der Resozialisierung: Straftäter sollen in der Haft zurück in die Gesellschaft geführt werden. Mit diesem Gedanken haben einige Länder bereits gebrochen, und dabei geht es nicht nur um Kosten, sondern auch um etwas, das man als ideologische Wende im Strafvollzug verstehen kann. Rechtlich möglich war sie, weil sich im Strafvollzugsgesetz Lücken finden lassen, in die einige Länder vorgestoßen sind, vor allem seit der Mitte der neunziger Jahre. Das Ergebnis ist bereits heute ein Rechtsgefälle zwischen den Ländern.

So steht etwa im Bundesgesetz nicht, dass Gefangene für Ausgänge einen bestimmten Zweck angeben müssen, doch in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sind nun bestimmte Lockerungszwecke vorgegeben. Lockerungen sind ein Kernelement der Resozialisierung, durch Ausgänge etwa soll sich der Gefangene wieder an ein Leben in Freiheit gewöhnen. In beinahe allen Ländern aber gibt es seit einigen Jahren weniger Lockerungen, besonders gut kann man das an den Zahlen zum Hafturlaub ablesen: In Hessen wurden die Urlaube seit 1998 um mehr als 53 Prozent reduziert, in Bremen seit 1999 um 56 Prozent. Beim offenen Vollzug sieht es ähnlich aus: Saßen in Hessen 1996 noch 27,3 Prozent der Gefangenen dort, waren es 2003 dann 12 Prozent. Und Gefangene in Berlin und Nordrhein-Westfalen hatten 2003 etwa zehnmal höhere Chancen auf Ausgang als Gefangene in Bayern und Sachsen-Anhalt.

Hessen als Vorreiter

Hessen liegt mit an der Spitze dieser Entwicklung, und in Hessen hat man Herrn T. keine Lockerungen gewährt, abgesehen von begleiteten Ausgängen. Er hat weiter Anträge gestellt, unter anderem darauf, in den offenen Vollzug verlegt zu werden, und 1998 wäre es fast so weit gewesen. Dann fand man bei ihm eine Visitenkarte mit seinem Namen, dazu einen Brief an eine Immobilienfirma.

Die Karte hatte er in der Haft gedruckt, während seiner Ausbildung zum Mediengestalter, ohne bestimmten Zweck, so sagt er das noch heute. Zu dem Brief erklärte er damals, die Firma habe ein Haus seiner Eltern verwalten sollen. Carl Friedrich Bringer, ehemaliger Redakteur des Hessischen Rundfunks und ehrenamtlicher Betreuer von Herrn T., sagt dazu: „Das ist furchtbar hochgespielt worden. Die Anstaltsleitung kam nicht mit ihm klar, denen war er zu intelligent.“

Herrn T. aber sollte die Sache nachhängen. Im Jahr 1999 beschäftigte sich ein Gutachter mit der Frage, ob man ihn vorzeitig entlassen könne: „Selbst Urlaube ohne ständige Begleitung würden für Herrn T. einen nicht mehr kontrollierbaren Freiraum schaffen, dem er derzeit noch nicht gewachsen ist.“ Im nächsten Gutachten vom März 2003 ist zu lesen: „Die bei Herrn T. durch dessen Tat zutage getretene Gefährlichkeit besteht weiter fort.“

Was in den Gutachten nicht zu lesen ist: Herr T. hat sich gut benommen in der Haft. Er hat sich noch einmal ausbilden lassen, er war Redakteur einer Gefangenenzeitschrift, Gefangenenvertreter in Kassel wie in Darmstadt und wurde dem damaligen hessischen Justizminister, dem Grünen Rupert von Plottnitz, bei einem Besuch in Darmstadt offiziell vorgestellt. „Als Vorzeigegefangener“, sagt Plottnitz heute. Die Verbindung hielt; seit 1999 nicht mehr Minister, übernahm er Anfang 2004 Herrn T. als Mandanten. „Der Fall ist grotesk“, sagt er. „Der Mann ist schwerbehindert und hat sich mustergültig verhalten.“ Man könnte das abtun, als Meinung eines Bürgerrechtlers, der jetzt außerdem Herrn T. vertritt. Man könnte sich aber auch anschauen, was der Mann, der Plottnitz als Justizminister gefolgt ist, 2002 in der Zeitschrift für Rechtspolitik geschrieben hat: Einen „auf Grund von Lockerungen nur noch eingeschränkten Freiheitsverlust des Verurteilten“, analysiert dort der CDU-Politiker Christean Wagner, empfinde die Rechtsgemeinschaft oft „nicht mehr als Genugtuung“.

Exakter kann man den Geist der Zeit wohl kaum fassen, bei dem es eben auch um Symbolik geht: Straftätern soll es nicht zu gut gehen, weil das denen nicht gefallen könnte, die nichts verbrochen haben. Die wiederum sollen sich möglichst sicher fühlen, und daraus ist ein Klima entstanden, in dem Gedanken wie dieser untergehen: Dass ein Straftäter, der nicht an die Freiheit herangeführt wird, am Ende gefährlicher aus dem Gefängnis herauskommen kann, als er hineingegangen ist. Es geht hier auch um Angst, davor, dass doch einmal etwas passieren könnte, und darum, dass eine Gesellschaft nicht mehr bereit ist, dieses Risiko zu tragen.

Es geht eigentlich um ganz andere Fälle als den des Herrn T., um Gewalt- und Sexualverbrechen, und gerade weil Herr T. die nicht begangen hat, ist sein Fall ein gutes Beispiel dafür, wie es steht um den Vollzug in diesem Land: Selbst ihm hat man so ziemlich alles verwehrt, was zu verwehren war.

„Gefährlichkeit besteht fort“

Nach dem Gutachten vom März 2003 dauert es noch einmal zweieinhalb Jahre, bis ein neuer Sachverständiger Herrn T. beurteilt. Die Gesprächstherapie in der Haft habe sich positiv ausgewirkt, stellt er fest, und „dass bei dem Verurteilten nach dem derzeitigen Kenntnisstand keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zu Tage getretene Gefährlichkeit fortbesteht“. Lockerungen seien „sogar geboten“. Plottnitz beantragt unbegleiteten Ausgang.

Zwei Monate später schreibt ihm die JVA, das Gutachten habe die Strafvollstreckungskammer nicht überzeugt. Unter dem Punkt „Eignung für Vollzugslockerungen“ ist angekreuzt: Nein. Heute will man sich dazu in der JVA nicht mehr äußern und verweist auf das Ministerium. Dort heißt es, ohne schriftliches Einverständnis von Herrn T. könne man nichts sagen. Doch der liegt im Krankenhaus. Ansonsten, sagt die Sprecherin, sei alles „ordnungsgemäß gelaufen“. Anwalt Plottnitz sagt: „Das war willkürliches Hintertreiben der Resozialisierung.“ Und: „Das ist in Hessen nicht mehr untypisch.“

Noch im Jahr 2006, nach acht Jahren, in denen Herr T. keinerlei Verfehlungen mehr begangen hat, darf er die Anstalt nicht ohne Begleitung verlassen. Bis zum 23. März, dem Tag der Entlassung. Herr T., der jetzt 58 Jahre alt ist und eine Beinprothese trägt, findet eine Wohnung, „in letzter Minute“, sagt er. Er muss sich Möbel besorgen, Geschirr, all diese Dinge. Er muss frei sein, obwohl er gar nicht mehr weiß, wie das geht. Herr T. sagt: „Hier reinzukommen, in diese Freiheit, das war ganz schlimm.“

[  sueddeutsche.de





July 2006
Föderalismusreform und Strafvollzug

Die gerade beschlossene Förderalismusreform übergibt die Gesetzgebungskompetenz im Bereoch des Strafvollzugs an die Ländern. Damit wurde umgesetzt, was von allen Interessenveränden - von den Anwälten über die Richter bis zu den im Strafvollzug Tätigen - als schädlich für die Entwicklung des Strafvollzuges in Deutschland bewertet wurde. Lesen SIe hier, welche Veränderungen nun zu befürchten sind. von Rechtsanwalt Oliver Brinkmann

[  Föderalismusreform und Strafvollzug.pdf


[  ferner.de





29 June 2006
Zur Föderalismusreform: Notariat bleibt in Bundeshand - Strafvollzug geht

Berlin (DAV). Die Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD haben heute letzte Änderungsanträge zur Föderalismusreform vorgelegt, nach denen die Gesetzgebungszuständigkeit für das Notariat beim Bund verbleiben soll. Die Zuständigkeit für den Strafvollzug soll allerdings entgegen der Forderung der Anwaltschaft auf die Länder übergehen. Der Deutschen Anwaltverein (DAV) ist erleichtert, dass im Teil Justiz der Bundesstaatsreform zumindest teilweise die Vernunft gesiegt hat.

„Die Übertragung der Zuständigkeiten für das Notariat auf die Länder hätte einen Rückfall in die Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts bedeutet“, sagte sichtlich erleichtert Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident des DAV. Durch diese Entscheidung werde das Notariat auch im weiter zusammenwachsenden Europa gestärkt.

Erschreckend sei jedoch, dass die Mahnung aller juristischen Fachverbände, den Strafvollzug nicht auf die Länder zu übertragen, einfach übergangen wurde. In der öffentlichen Debatte deutet sich bereits ein Wettlauf um die menschenunwürdigsten Haftbedingungen an. „Die Anwälte werden ihre Rolle als Wahrer der Menschenrechte aber auch gegenüber den Ländern einnehmen“, betonte Kilger. Wichtig sei, dass die Länder die Chancen der Reform nutzen und gegenseitig von positiven Erfahrungen z. B. bei der Resozialisierung lernen. Die Föderalismusreform darf jedenfalls nicht als neue Möglichkeit für bloße Sparmaßnahmen umgedeutet werden.

[  anwaltverein.de





26 May 2006
"Rechtsstaatliche Garantien gefährdet"
Gerichtspräsidenten gegen Abschaffung der zweiten Instanz

Die Präsidenten oberster Gerichte in Deutschland lehnen die geplante Abschaffung der zweiten Instanz entschieden ab. Ein Wegfall dieser ersten Berufungsebene würde rechtsstaatliche Garantien gefährden, warnte der Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken, Walter Dury, am Mittwoch nach der Jahrestagung der Präsidenten der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs in Zweibrücken.Die Justizminister hatten sich im vergangenen Jahr im Grundsatz darauf verständigt, die zweite Instanz und damit die Berufungsmöglichkeiten für die Tatsachenentscheidung im Ursprungsverfahren deutlich zu beschneiden. Eine Überprüfung wäre dann in der Regel nur noch in einer Rechtsmittelinstanz möglich, die das formelle Verfahren überprüft. Dagegen betonte Dury, die gerichtliche Entscheidung in einer zweiten Tatsacheninstanz sei gerade bei Fällen mit komplexen inhaltlichen Fragen unerlässlich, um einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren.

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18 May 2006
Wer haftet?
Grundsatzstreit beim Strafvollzug prägt auch Anhörung zur Staatsreform

Berlin - „Je näher eine Reform rückt, umso stärker beschreiben ihre Kritiker den Ist-Zustand als paradiesisch.“ Die Erkenntnis stammt vom sächsischen Justizminister Geert Mackenroth, und sie bezieht sich auf einen Teil der Föderalismusreform , der heftig umstritten ist - die geplante Verlagerung der Zuständigkeit für den Strafvollzug an die Länder. Also all jene Regelungen, die sich auf die Art der Strafverbüßung beziehen wie Freigang, offener oder geschlossener Vollzug, Zellenbelegung, Hafterleichterungen. Die meisten Juristenverbände lehnen das Vorhaben ab und wollen, dass weiter der Bund zuständig ist. Im Kern geht es um einen Glaubenssatz: den Vorrang der Resozialisierung von Gefangenen bei den Vollzugszielen. Der wurde 1977 in einem Bundesgesetz festgeschrieben. Die Reformkritiker fürchten nun, dass in den Landtagen diese Errungenschaft geschleift wird.

Eine Befürchtung, die am dritten Tag der Marathonanhörung zur Föderalismusreform von Bundestag und Bundesrat häufig anklang, aber nicht unbedingt bestätigt wurde. Zwar waren die Kritiker der geplanten Regelung unter den Sachverständigen in der Mehrheit, doch die Äußerungen der Minderheit, die sich eine Übertragung auf die Landtage vorstellen kann, legten nicht den Eindruck nahe, dass Resozialisierung künftig kein großes Gewicht mehr haben könnte oder der Strafvollzug das nötige Maß an Einheitlichkeit in Deutschland verlieren würde. So wies der Präsident des Landgerichts Darmstadt, Thomas Aumüller, darauf hin, das zum einen die Grundrechtsartikel der Verfassung und zum anderen mittlerweile 126 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Strafvollzug den Ländern einen Rahmen setzten. Ein völliges Auseinanderdriften der Gesetzgebung - so auch der Würzburger Oberstaatsanwalts Clemens Lückemann - sei durch Landeszuständigkeit nicht zu befürchten.

Dagegen betonte der Leipziger Staatsrechtslehrer Manfred Seebode, dass zum einheitlichen Strafgesetzbuch des Bundes auch ein einheitliches Vollzugsrecht gehören müsse. „Wer eine Strafe androht, muss auch sagen, wie sie aussieht.“ Seebode warnte dringend vor einem Auseinanderreißen von Strafrecht und Vollzugsrecht. Mit der Neuregelung wolle sich der Bundesgesetzgeber - also Bundestag und Bundesrat - nur der Schwierigkeit entziehen, beim Vollzugsrecht Kompromisse zu finden. In der Tat fehlen auch aus diesem Grund seit Jahren - das monierten mehrere Sachverständige - ein Jugendstrafvollzugsgesetz und ein Untersuchungshaftgesetz. Die Befürworter der Reform sehen daher in die Verlagerung des Strafvollzugs zu den Ländern eine Auflösung der Blockade zwischen Bundestag und Bundesrat.

Einen Kompromissvorschlag machte der Trierer Professor Gerhard Robbers, der mehr der Länderlösung zuneigte: Man könne die Vollzugsziele, also auch den Vorrang der Resozialisierung, in das Strafgesetzbuch des Bundes aufnehmen, dann wären die Länder daran gebunden. Robbers betonte, eine Länderzuständigkeit bringe die Möglichkeit, mehr als bisher zu experimentieren. Andererseits wies der hessische Gefängnisleiter Klaus Winchenbach darauf hin, dass schon jetzt mit dem Bundesgesetz die Spielräume für eigene Akzentsetzungen der Länder sehr groß seien. So läuft der Streit - neben dem Argument der Blockadeauflösung - letztlich auf eine Gewichtungsfrage hinaus: Wenn die Länder schon Spielräume haben und es damit Unterschiede gibt, soll man ihnen dann nicht gleich die ganze Gesetzgebungskompetenz geben - oder soll Strafvollzug Bundessache bleiben, wenn Spielräume auch so möglich sind?

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17 May 2006
Ex-Justizminister warnt vor "Billigknast"

Angesichts der geplanten Reform des Strafvollzugs befürchtet der Kriminologe und ehemalige niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer einen Wettbewerb der Länder "nach unten". Es gehe nur noch um die Frage, "wer schafft es mit am wenigsten Geld, den Strafvollzug zu realisieren". Darunter werde die Sicherheit des Strafvollzugs leiden.

Klaus Remme: Am Telefon hat Christian Pfeiffer mitgehört. Er leitet das kriminologische Institut in Niedersachsen und war einst dort Justizminister. Frau Merk fehlen die Argumente der Kritiker, Herr Pfeiffer. Liefern Sie uns welche!

Christian Pfeiffer: Nun ja, sie hat ihre Worte klug gedrechselt. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, es gibt keine Probleme, und dabei ist das Wichtigste verschwiegen worden. Die Länder haben zurzeit wirklich ein Problem, weil trotz sinkender Kernkriminalität - Mord und Totschlag Minus 40 Prozent, Wohnungseinbrüche um die Hälfte zurückgegangen und so weiter; das ließe sich fortsetzen - 40 Prozent mehr Gefangene da sind, weil in den letzten Jahren die Strafbedürfnisse in der Allgemeinheit, aufgeschreckt durch immer dramatischere Medienereignisse, immer weiter nach oben gegangen sind. Die Politik hat den Gefallen getan und an 40 Stellen das Strafrecht verschärft mit dem Ergebnis 40 Prozent mehr Gefangene und jetzt muss gespart werden. Darum geht es. Die Länder wollen Spielräume haben, um beispielsweise zwei Gefangene in eine Zelle zu legen, was sie bei neu gebauten Anstalten derzeit nicht dürfen. Das Gesetz auf Bundesebene verbietet das. Es geht um einen Wettbewerb nach unten. Wer schafft es mit am wenigsten Geld, den Strafvollzug zu realisieren.

Remme: Herr Pfeiffer, reicht denn das Grundgesetz als Garant für einen Mindeststandard im Strafvollzug nicht aus?

Pfeiffer: Na, die Länder werden da schon ihre Spielräume ausloten im Wechselspiel mit Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen. Wir sehen das im Ausland, wo solche Regelungen wie bei uns und vor allem eine solche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie bei uns nicht existiert, in den USA beispielsweise, wo dann der Strafvollzug tatsächlich zu einem Billigknast verkommen ist und von Resozialisierungsbemühungen hinter Gittern kaum die Rede sein kann. Das haben wir als Sorge formuliert und die Anstaltsleiter wissen warum und wir Wissenschaftler wissen es auch, warum wir glauben, dass es einen Wettbewerb nach unten gibt. Und es gibt ja eine zweite Gefahr. Wenn da etwas auf Länderebene passiert, wenn jemand im Urlaub aus der Haft eine schlimme Tat begeht, dann ist der Minister unter massivem Druck, hier gesetzgeberisch zu reagieren. Da muss er "populistisch" werden. Da habe ich es als Minister als sehr wohltuend empfunden, dass ich nicht dieses Gesetz ganz schnell mal so aufgrund von Stimmungen und Wünschen des Ministerpräsidenten oder anderer, die Sorgen um die Wählerstimmen haben, über den Landtag ändern kann, sondern dass dies ein sehr zähes, über den Bundesrat laufendes Verfahren ist.

Remme: Herr Pfeiffer, es ist ja lange her, dass die Resozialisierung als vorrangiges Ziel festgeschrieben wurde, fast 30 Jahre. Ich vermute, man würde bei Umfragen auf der Straße heute schnell eine Mehrheit dafür finden, diese Hierarchie der Ziele zu verändern und dem Schutz der Bevölkerung eine größere Rolle zukommen zu lassen. Muss man diesem Bedürfnis nicht Rechnung tragen?

Pfeiffer: Dem wird doch praktisch dadurch Rechnung getragen, dass wir beispielsweise nicht den offenen Vollzug, wie es im Gesetz heißt, zu dem Regelvollzug erklärt haben, wo die Mehrheit der Gefangenen ist, sondern die Mehrheit sitzt wohlbehütet hinter Gittern und das ist auch durchaus richtig so. Das Gesetz hat ja Spielraum gelassen, diesem Sicherheitsgedanken ausreichend Rechnung zu tragen. Wir haben überhaupt kein Defizit an sicheren Gefängnissen und das würde auch so bleiben. Ich gebe gerne zu, dass es nach 30 Jahren Geltung dieses Gesetzes Anlass geben könnte, es zu reformieren. Da sollen sich die Länder zusammensetzen und gemeinsam mit dem Bund nach Lösungen suchen, wenn sie Änderungswünsche haben. Sie haben ja jetzt durch die große Koalition wirklich alle Chancen, im Bundesrat alles durchzukriegen was sie für richtig halten. Aber ich sehe die große Gefahr, dass das Gegenteil läuft und dass die Länder einen Wettbewerb nach unten machen und dass dann auf Länderebene einzelne Minister, wie das Herr Kusch schon wollte, den Urlaub aus der Haft abschaffen, nur weil es dann gerade mal den Stimmungen entspricht, und damit wirklich die Sicherheit gefährden würden. Mir geht es auch um Sicherheit, genauso wie Frau Merk. Nur sage ich, das Gesetz hat sich bewährt. Es gibt keinen Grund, die Rechtseinheit von Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafvollzugsrecht zu gefährden. Das haben wir aus guten Gründen auf Bundesebene und wenn jetzt daran die Axt angelegt wird und wir plötzlich eine Vielfalt von kleinen Länderregelungen bekommen, ist das absurd, wenn wir da so eine Vielstaaterei im Strafvollzugsrecht haben. In der praktischen Wirklichkeit haben wir es in Grenzen schon. Das würde sich noch vertiefen.

Remme: Herr Pfeiffer, es geht ja bei der Föderalismusreform um eine Entflechtung von Kompetenzen. Es gilt Bundesrecht, aber die Länder bezahlen und organisieren. Wie kann man diese Verflechtung denn anders aufheben?

Pfeiffer: Indem die Länder mit dem Bund sich zusammensetzen und nach gemeinsamen Lösungen suchen. Das von Frau Merk erwähnte Polizeirecht ist doch auch nicht unterschiedlich von Land zu Land, sondern sie haben sich weitgehend auf eine Rahmengesetzgebung geeinigt. Der Bund hat dort nur leider nichts mehr mitzureden. Das ist nicht ganz so tragisch, aber beim Strafrecht wäre es wirklich ärgerlich. Von daher hoffe ich inständig, dass der Bundestag da noch mal stoppt und die bewährten Regelungen auf Bundesebene lässt.

Remme: Der Leiter des kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen Christian Pfeiffer. Herr Pfeiffer, vielen Dank!

Pfeiffer: Danke Ihnen!

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17 May 2006
Rückkehr zur Vergeltung

Föderalismusreform: Ausweitung der Länderkompetenzen könnte im Strafvollzug wieder reines Wegschließen ohne Perspektive zur Folge haben

Wenn die Zuständigkeit für den Strafvollzug im Zuge der Föderalismusreform vollständig auf die Bundesländer übertragen würde, hätte dies gravierende Folgen für die Inhaftierten. Das Thema steht am heutigen Mittwoch auf der Agenda einer Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuß des Bundestages. Schon vorher haben viele Experten die Befürchtung geäußert, daß diese »Reform« ein Rollback zu einem reinen Verwahrvollzug vorbereiten soll.

Das bundeseinheitliche Strafvollzugsgesetz erhebt zumindest auf dem Papier den Anspruch, die Resozialisierung der Gefangenen anzustreben. Doch für Menschen, die straffällig geworden sind, will diese Gesellschaft kein zusätzliches Geld ausgeben. Die Entlohnung von Strafgefangenen für ihre Arbeit, zu der sie verpflichtet werden, ist lächerlich. Ein menschenwürdiges Maß an Raum für die Gefangenen mußte erst durch Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten werden. Nach wie vor produzieren die Lebensbedingungen im Knast Kriminalität, statt sie zu verhindern.

Das 1977 in Kraft getretene Strafvollzugsgesetz galt seinerzeit als Fortschritt. Darin wurden unter anderem die Schnittstellen zwischen Vollzug und angrenzenden Sozialleistungsbereichen wie Jugendhilfe, Sozialhilfe, und Arbeitsförderung bundesrechtlich gestaltet. Zugleich einigten sich die Länder auf einheitliche Verwaltungsvorschriften zum Gesetz, die länderspezifische Gestaltungsräume ermöglichten. Die 68er-Bewegung schaffte es, dem Gesetz den Gedanken der Resozialisierung einzupflanzen, wenn auch die Praxis in der Folgezeit oft desillusionierend war.

Die Länder könnten nun den letzten Rest Reformgeist aus dem Strafvollzug entfernen. Denn die meisten pfeifen finanziell auf dem letzten Loch. Personalkosten sind leicht einzusparen, indem man die Stellen für Psychologen und Sozialpädagogen streicht. CDU-regierte Länder wie Hessen und Baden-Württemberg setzen sogar auf weitgehende Privatisierung der klassischen Staatsaufgabe Strafvollzug. CSU-Chef Edmund Stoiber, einer der Macher der Föderalismusreform, hat wiederholt gefordert, die Gleichrangigkeit der beiden Vollzugsziele Resozialisierung und Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten abzuschaffen und dem Strafcharakter der Haft den Vorrang einzuräumen. Das wäre die Rückkehr zu einem reinen Vergeltungsstrafrecht. Heribert Prantl sagte in der Süddeutschen Zeitung einen »Schäbigkeitswettbewerb« der Länder voraus.

Die geplante Neuregelung ist ein Kuhhandel zwischen den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD, ohne daß es dazu bisher eine fachliche Debatte gegeben hätte. Zudem widerspricht die geplante Kompetenzänderung dem Koalitionsvertrag, der hinsichtlich des Strafvollzugs eine verläßliche Grundlage auf Bundesebene vorsieht.

Bei einer Anhörung in der vorigen Woche im bayerischen Landtag hat der Vorsitzende des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Bayern, Horst Böhm, die Verlagerung der Zuständigkeit auf die Länder schlicht als »Unfug« bezeichnet. Aus dem bundeseinheitlich geregelten Strafrecht samt Strafprozeßordnung dürfe man den Vollzug nicht herauslösen. Dies ist auch die Auffassung der meisten Praktiker. In einem gemeinsamen Appell haben bereits im Oktober 2005 Richter, Anstaltsleiter im Strafvollzug, Anwälte und Vollzugsbeamte die geplante Änderung abgelehnt. Hartmut Kilger, Präsident des Deutschen Anwaltsvereins, warnte wiederholt, es dürfe in der Bundesrepublik keinen Flickenteppich beim Strafvollzug geben.

Wenn sich die große Koalition durchsetzen sollte, käme es zur Verstärkung der bereits existierenden erheblichen Ungleichheit in der Ausgestaltung des Strafvollzugs in den einzelnen Ländern. Schon jetzt haben beispielsweise Verurteilte, die eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen müssen, in Bayern und Hessen geringere Chancen auf Entlassung nach 15 Jahren als in anderen Ländern.

[  jungewelt.de





Strafvollzug darf nicht Ländersache werden – Grundrechte-Komitee fordert Korrektur bei Föderalismusreform Offener Brief an alle Bundestagsabgeordneten In einem Offenen Brief an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages fordert das Komitee für Grundrechte und Demokratie eine gewichtige Korrektur bei der vorgesehenen Föderalismusreform. Der Strafvollzug dürfe nach Ansicht des Komitees nicht zur Länderangelegenheit werden, sondern müsse weiterhin bundeseinheitlich geregelt bleiben. Eine pdf-Datei mit dem Offenen Brief hängt an. Andernfalls befürchtet das Komitee, dass es zu einer negativen Konkurrenz der Länder auf dem Rücken straffällig gewordener Menschen komme. Das Hauptziel des Strafvollzuges, wie es im Strafvollzugsgesetz von 1976/77 festgelegt worden ist, drohe in den Hintergrund zu geraten, wenn einzelne Länder vermeintliche Sicherheitskriterien höher bewerten als das umfassendere Ziel der Resozialisierung. Das Komitee weiß sich in seinen Forderungen einig mit nahezu allen mit dem Strafvollzug befassten Fachverbänden und mit juristischen Vereinigungen von Strafrechtslehrern bis zum Deutschen Richterbund. Die Mühseligkeit, das einmal geschnürte Paket „Föderalismusreform" noch einmal aufzupacken, dürfe nicht als ernsthaftes Argument dienen. gez. Martin SingeKöln/Berlin, den 4. Mai 2006 OFFENER BRIEF AN DIE ABGEORDNETEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES http://www.grundrechtekomitee.de/files/articles/foderalismus.pdf http://www.grundrechtekomitee.de/ub_showarticle.php?articleID=192
11 April 2006
Frisch entstaubt

Zwischen High-Tech und Akten: Berlins Justiz befindet sich im Umbruch Die Reform verändert den gesamten Apparat - und läuft ohne große Proteste ab

Die Anwälte kennen das Spiel, sie nennen es Schnitzeljagd. „Die Geschäftsstelle ist nicht besetzt. Bitte gehen Sie in Zimmer …“, steht, wenn es auf der Suche nach der Akte mal wieder schlecht läuft, auf dem Zettel an der Tür. Dann geht es im Kriminalgericht Moabit über Treppen und dunkle Gänge, von Zettel zu Zettel, bis die Verteidiger an eine Stelle kommen, wo der Betrieb nicht durch Schwangerschaft oder Krankheit zum Erliegen gekommen ist. Die Akte zum Fall X? Ist gerade unterwegs, lautet die Antwort allzu oft. Die liegt dann beim Richter, beim Staatsanwalt, der Polizei oder befindet sich irgendwo zwischendrin auf dem Aktenwägelchen. Immerhin: Statt in ihrem Karteikasten schauen die Mitarbeiter jetzt im Computer nach. „Ansonsten hat sich für uns in Moabit noch nicht viel geändert“, sagt Rechtsanwalt Ulrich Schellenberg.

Noch. Denn die Chancen stehen gut, dass das alte Leid mit der Akte bald ein Ende haben wird (siehe Interview). Die Berliner Justiz befindet im Umbruch, und die Reform zwingt Justitia gerade in einen Spagat zwischen Moderne und 100 Jahre alter Tradition. Hinter den Kulissen wird derzeit an fast allen Stellen modernisiert, frisch geordnet, neu geschaffen. „Das ist der größte stille Umbruch der letzten 50 Jahre“, sagt Justizsenatorin Karin Schubert (SPD). Dass die Reform bislang ohne große Proteste und Streiks abgewickelt wurde, sei einer Strategie zu verdanken: „Wir haben von Anfang an alle mit ins Boot genommen.“

Um die wichtigsten Neuerungen aufzuzählen: Die zwölf Amtsgerichte haben einen eigenen Präsidenten und wie auch die drei Staatsanwaltschaften einen eigenen Haushalt bekommen. Das Justizprüfungsamt, das Oberwaltungs- und Landessozialgericht hat man mit Brandenburg bereits fusioniert, zwei weitere Gerichte sollen 2007 folgen. Die Ankläger und Richter sind jetzt komplett mit Computern ausgestattet, außerdem wurden Serviceeinheiten, Projektteams und flache Hierarchien eingeführt. Gleichzeitig macht die Justiz gerade einen Generationswechsel durch, eine deutlich jüngere Riege hat die Führung in der Staatsanwaltschaft und den Gerichten übernommen. Dass sich neue Ideen schonend auf den Berliner Haushalt auswirken können, hat sich am Verwaltungsgericht gezeigt, wo im letzten Jahr eine eigene Kammer für Flüchtlinge eingerichtet wurde. Schubert: „Dadurch wurde die Dauer der Asylverfahren um mehr als zwei Jahre verkürzt.“

Gespart hat die Justiz auch beim Personal, vor allem in den Gefängnissen: Kamen 2003 auf 100 Häftlinge noch 58 Mitarbeiter des Justizvollzugs, sind es jetzt nur noch 54,4. Was die ohnehin miese Stimmung in den Gefängnissen nicht gehoben haben dürfte. Für die Zustände in den rappelvollen Anstalten haben die obersten Gerichte bereits deutliche Worte gefunden: menschenunwürdig, rechts- und verfassungswidrig. Wegen Überbelegung mussten in den vergangenen Jahren immer wieder hunderte Häftlinge entlassen werden.

Es musste etwas passieren, das hat schließlich auch Finanzsenator Sarrazin eingesehen: Ende 2007 will Berlin mit dem Bau der neuen Haftanstalt in Großbeeren beginnen. Für schätzungsweise 87 Millionen Euro sollen im Süden der Stadt 650 Haftplätze entstehen. Bis dahin wird sich Schubert weiterhin mit Flickwerk zufrieden geben müssen: 120 neue Plätze entstehen durch kleinere Bauprojekte in Charlottenburg, 80 in Düppel, 60 in Tegel … Politik der kleinen Schritte eben. Das neue Gefängnis wird frühestens 2010 in Betrieb gehen.

[  tagesspiegel.de


Papierlos glücklich

Generalstaatsanwalt Ralf Rother will weiter sparen. Er setzt dabei auf die elektronische Akte

Herr Rother, lassen Sie mich raten: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Es ist unmöglich, bei der Staatsanwaltschaft auch nur noch einen Cent rauszuholen?

Ich halte nichts von solchen Klagen. Die Situation der Stadt nötigt alle, nochmal zu prüfen, wo gespart werden kann.

Aber die Staatsanwaltschaft hat seit 2001 bereits rund drei Millionen Euro Personalkosten eingespart.

Beim Personal geht wirklich nichts mehr. Sparen könnten wir aber anders: Die IT-Technik bringt eine ganze Menge Einsparpotenzial mit sich.

Mit Computern ist die Justiz ja inzwischen ausgerüstet.

Ja, aber die Behörden sind nicht ausreichend miteinander vernetzt. Alle Vorgänge werden heute noch zu Papier gebracht. Die Polizei druckt die Akte aus, dann wird sie ins Gericht geschickt, kommt in die Poststelle, dann aufs Wägelchen, in die Geschäftsstelle …
… bis sie nach Tagen beim Staatsanwalt landet …
… und dann wieder denselben langen Weg zurückgeht, wenn dieser noch einen Zeugen vernommen haben will …
… und der Fall noch einmal drei Wochen brachliegt.
Hinzu kommt: Wir bearbeiten im Jahr mehrere hunderttausend Vorgänge, wovon 80 Prozent niemals einem Gericht vorgelegt werden.

Übertreiben Sie jetzt?

Keineswegs. Allein die Staatsanwaltschaft hatte letztes Jahr 206 000 Bekannt-Eingänge. Das sind Fälle, in denen der Beschuldigte feststeht. Die Amtsanwaltschaft hatte noch einmal entsprechende Eingänge. Hinzu kommen jährlich rund 260 000 Unbekannt-Sachen, also Kellereinbrüche, Fahrraddiebstähle und Graffiti. Ein Großteil dieser Fälle wird wie gesagt eingestellt, aber die Akten müssen den Fristen entsprechend aufbewahrt werden.

Und das heißt?

Das heißt, dass jemand jede einzelne Akte nach einer gewissen Zeit wieder hervorholen und ins Lager am Westhafen schaffen muss, wo sie nach Ablauf der Frist dann geschreddert und entsorgt wird. Wir geben eine Million Euro pro Jahr allein für die Lagerung und Vernichtung aus. Alle Beteiligten könnten außerdem viel Zeit sparen, wenn diese Vorgänge zukünftig elektronisch abgewickelt werden.

Und die Fälle, die vor Gericht landen?

Laut Strafprozessordnung muss es dafür derzeit noch eine körperliche Akte geben. Viel gewonnen wäre aber schon, wenn vorher mit der elektronischen Akte gearbeitet werden könnte. Wenn jetzt mindestens Polizei, Staatsanwälte, später auch Richter und Anwälte jederzeit auf die Akte zugreifen könnten. Das wäre ein Effizienzgewinn - und sparte Kosten.

Und was spricht noch dagegen?

Wir brauchen ein Programm, das Manipulationen an der Akte ausschließt. Die historische Entwicklung der Ermittlung muss unbedingt nachvollziehbar sein. Wir brauchen sichere Zugangscodes und elektronische Schnittstellen mit der Polizei. Wir müssen außerdem den Datenschutzbeauftragten und die Personalvertretung mit einbinden …

Also reine Zukunftsmusik?

Keineswegs, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Wenn alles gut läuft, können wir Anfang nächsten Jahres mit der Pilotphase beginnen.

Ralf Rother (54)ist seit Anfang des Jahres der oberste Ankläger der Stadt. Katja Füchsel sprach mit dem Generalstaatsanwalt über weitere Sparmöglichkeiten in der Justiz.

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KASSENSTURZ
Kostenfaktor Justiz

NEUE KRÄFTE

Bis 2009 werden alle Richter und Staatsanwälte, die in Pension gehen oder aus anderen Gründen ausscheiden, hundertprozentig ersetzt. In diesem Jahr sind 50 Neueinstellungen geplant, in den nächsten drei Jahren jeweils 40. Etwas anders sieht es bei den übrigen Mitarbeitern in der Berliner Justiz aus. In diesem Jahr scheiden voraussichtlich 180 Beschäftigte aus, aber nur 120 werden ersetzt. Und 2007 bis 2009 verlassen wahrscheinlich 610 Mitarbeiter die Justiz, dem stehen 410 Neueinstellungen gegenüber. Einstellungskorridore hat der Senat für die kommenden Jahre nur für folgende Bereiche zugelassen: Polizei, Feuerwehr, Justiz, Lehrer und Finanzämter.

WAS EIN GERICHT KOSTET

Das Landesverfassungsgericht ist preiswert und kostet im laufenden Jahr nur 541 500 Euro. Denn die Richter arbeiten ehrenamtlich und der bürokratische Aufwand ist überschaubar. Aber die Amtsgerichte, das Land- und das Kammergericht, die Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichte inklusive der Staatsanwaltschaften schlagen im Landeshaushalt 2006 mit 477,5 Millionen Euro zu Buche. Zum Beispiel gibt das Landgericht in diesem Jahr 60,3 Millionen Euro aus. Allein 34,4 Millionen Euro kosten das Personal und 11,4 Millionen Euro die Gebäudemieten. Der Geschäftsbedarf kostet nur 1,5 Millionen Euro. Immerhin ist das Landgericht eine wichtige Einnahmequelle. Aus Gebühren, Geldstrafen und Geldbußen kommen 43,9 Millionen Euro herein. za

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DAS SAGT DIE OPPOSITION
Höchste Zeit für eine Modernisierung

Michael Braun, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion

Justiz unter Rot-Rot ohne Lobby, ohne Bedeutung! Die Justizreform ist für Rot-Rot Neuorganisation der Gerichte ohne jeden Beschleunigungsvorteil für den rechtsuchenden Bürger. Einstweiliger Rechtsschutz im Asylverfahren dauert nach wie vor 40 Monate, im Bundesgebiet 14 Monate. Die Knäste überfüllt, eine neue Haftanstalt, bereits in Großbeeren geplant, auf die lange Bank geschoben. Strafe muss auf dem Fuße folgen - eilig! - aber in Berlin? Häftlinge flüchten, Personal fehlt an allen Ecken und Enden. Sparen auf Kosten der Sicherheit! Übertrieben? Fragen Sie Freunde aus der Justiz!

Volker Ratzmann, Vorsitzender und rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion

Der Modernisierungsbedarf der Hauptstadtjustiz ist immer noch riesig: veraltete Technik, schlechte räumliche Arbeitsbedingungen, zu wenig Personal sind der Grund für überlange Verfahren und riesige Aktenberge. Zügige und schnelle Gerichtsverfahren sind nicht nur Ausprägung eines demokratischen Rechtsstaates, sondern auch ein Standortfaktor für die Wirtschaft. Die begonnene Justizreform hat die Weichen richtig gestellt. Mehr Verwaltungsautonomie der Gerichte und die Modernisierung der Arbeitsabläufe können Berlins Justiz trotz knapper Kassen effizienter, vor allem schneller machen.

Christoph Meyer, justizpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion

Auf den Neubau einer Justizvollzugsanstalt in Großbeeren sollten wir zumindest so lange verzichten, bis alle Möglichkeiten zur Reduzierung von Überbelegung ausgeschöpft wurden. Dadurch würden 90 Millionen Euro Baukosten und laufende Kosten von jährlich zirka 23,75 Millionen Euro entfallen. Zudem fordert die FDP-Fraktion ein Konzept zur Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens. Dabei soll der Schwerpunkt auf der Übertragung der Aufgaben auf hoheitlich beliehene Dritte liegen. Gerichtsvollzieher finanzieren sich dann ausschließlich über Gebühren gegenüber dem Verursacher. Weiterhin wollen wir ein Budgetrecht für die Amtsgerichte. Das verschafft Planungssicherheit, sie können selbst entscheiden, welche Ausgaben dringend sind und können die Effizienz steigern.

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16 March 2006
Marsch in eine andere Republik?

Die geplante Föderalismusreform wird in der Öffentlichkeit kaum diskutiert, obgleich sie einiges an Sprengstoff enthält

Die [extern] Föderalismusreform sorgt in der Regierungskoalition für Streit. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich. Vertreter beider Regierungsparteien hatten noch vor Monaten unisono betont, gerade ein solch umfangreiches Gesetzespaket wie die Föderalismusreform könne nur von einer großen Koalition bewältigt werden. Politische Beobachter rechneten so damit, dass die Bundesregierung mit einer zügigen Verabschiedung der Reform Handlungsfähigkeit demonstrieren will. Schließlich gab es schon in der letzten Legislaturperiode Versuche, sich parteiübergreifend auf die Maßnahmen zu einigen. Aber letztlich konnte sie doch nicht aus dem Parteienstreit herausgehalten werden. Das wurde auch von vielen Medien kritisiert. Dabei ist zu fragen, warum eigentlich? Hier wird von der Reform das Bild einer dringend notwendigen Maßnahme gezeichnet, die jenseits von Partikular- und Parteiinteressen durchgesetzt werden müsse.[...]

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Neuer Strafvollzug durch Föderalismusreform Justizsenator Roger Kusch will Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern als "Vollzugsziel" verankern von Florian Hanauer Die Föderalismusreform geht in die entscheidende Phase. Denn nach den Beratungen der kommenden Tage soll das Paket, das viele für Hamburg wichtige Punkte enthält, am Freitag in Bundestag und Bundesrat diskutiert werden. Neben der Neuordnung von Kompetenzen für die Bildungspolitik und das Beamtenrecht oder der Übertragung des Hochschulneubaus an die Länder ist ein umstrittener Punkt die Übertragung der Verantwortung für den Strafvollzug. Die Reform der Finanzverfassung bleibt dagegen noch ausgeklammert. "Zu der Modernisierung des deutschen Föderalismus gibt es keine Alternative. Hamburg ist bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen", begrüßt Justizsenator Roger Kusch (CDU) die Reformpläne. Er bekräftigt die Notwendigkeit, die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder zu übertragen: "Hamburg wird ein besseres Strafvollzugsgesetz bekommen. Wir werden den Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern als Vollzugsziel im Gesetz verankern." Die Länder seien finanziell und politisch ohnehin schon für den Strafvollzug verantwortlich, ergänzt Justiz-Sprecher Carsten Grote. "Da ist es nur konsequent, wenn jedes Land auch selbst die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen kann." Erst jüngst hatte die SPD-Bürgerschaftsfraktion sich dafür ausgesprochen, die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug beim Bund zu belassen und warnte vor einem Vollzug, der "von Populismus und Kassenlage geprägt" sei. Daß die Übertragung auf die Länder zu einer Absenkung der Mindeststandards aus Kostengründen führen könnte, weist Grote zurück: "Kein Land gibt mehr für den Strafvollzug aus als Hamburg." Das derzeitige Strafvollzugsgesetz aus dem Jahr 1976 sei dagegen "in die Jahre gekommen". Wie alle unionsgeführten Bundesländer sehe die Justizbehörde Reformbedarf: Ein "schlankes Gesetz" sei nötig, so Grote. Die "große Zahl bloßer programmatischer Vorschriften, die den Vätern des Gesetzes in den siebziger Jahren erforderlich schienen", könnten ersatzlos entfallen. Die Rahmenbedingungen seien heute anders, weil sich die Deliktstrukturen und Gefangenengruppen geändert haben. Zudem könnte Hamburg seine Umorientierung vom "Angebots- zum Chancenvollzug" im Gesetz festschreiben. Grote: "Das bedeutet eine Verbesserung der Chancen für mitwirkungswillige Gefangene, weil Ressourcen effizienter eingesetzt werden können." Derzeit müßten selbst dem Gefangenen, der die Angebote des Vollzuges nicht annehmen will, diese gleichsam im "Gießkannenprinzip aufgedrängt" werden. Schließlich könnte auch die "gemeinschaftliche Unterbringung von Gefangenen" geregelt werden. Derzeit dürfen nur in alten Anstalten mehrere Insassen in einem Haftraum untergebracht werden. Laut Justizbehörde müsse man flexibel reagieren können, auch wenn die Mehrfachbelegung angesichts der heutigen Haftkapazitäten in Hamburg noch nicht nötig sei. Artikel erschienen am Di, 7. März 2006 [  zurück  ]